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Der Sonntagsmonat

Der Sonntagsmonat

Titel: Der Sonntagsmonat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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liegen zusammen Seite an Seite im Bett und drehen uns wie auf einer einzigen Antriebswelle. Unter Druck helfen wir uns, glaube ich, mit dem gleichen Ausdruck – wir legen den Kopf zurück und schließen den Mund noch fester, damit unser Belagerer erkennt, daß wir uns in eine ihn ausschließende und trotz unserer Gegensätzlichkeit gemeinsame Privatsphäre zurückgezogen haben.
    Oh, ich weiß, ich weiß, lieber unbekannter Leser, daß allein schon der Gedanke an diese Frau meine Prosa zu einer neuen phantasievollen Ungezwungenheit und zu einer neuen Leichtigkeit des Tonfalls verführt; ich bin zu Hause. Aber laß dich nicht täuschen; diese Ungezwungenheit und dieses Behagen sind nicht Linderung, sie sind die Krankheit.
     
    Reverend Dr. Wesley Augustus Chillingworth, Janes Vater, war Professor für Ethik an der theologischen Hochschule, die ich besuchte. Das Schulgelände ein grüner Hang, unten ein See, oben eine große Hartsteinkapelle, von einem sündigen Industriellen (oder industriellen Sünder) erbaut. Dahinter eine ausgedehnte Stadt mit Bars und Bussen für ihre Bürger, während sich vor uns eine Wand von Ulmen und U-förmigen Gebäuden erhob, und Glocken, zahllose Glocken, die Stunden, die halben Stunden und die Viertelstunden verkündeten, bis die Luft dauerhaft verflüssigt schien und überall Glockenschläge herumkullerten wie Quecksilber. Chillingworth war klein von Gestalt. Er hatte etwas Eckiges, und diese gefügige, farblose Eckigkeit ließ ihn noch kleiner erscheinen, als er war; er hielt seine trockenen Vorlesungen praktisch im Flüsterton und blickte dabei oft zur Tafel hin oder zu einem alten braunen Himmelsglobus, einem Überbleibsel in seinem Hörsaal aus einer Zeit, da Naturwissenschaft und Theologie, wenn sie nicht gar ineinander verliebt waren, doch miteinander flirteten. Die Orgie des Lesens, die seine Kindheit und Jugend verzehrt haben mußte, verlieh ihm noch jetzt, in seinen hohen Fünfzigern, das leicht verwegene verbrauchte Aussehen eines großen Wüstlings; ein Zwinkern blitzte in seiner Trockenheit auf, wenn er uns durch die ausgedörrten Diskurse der Griechen, der Hedonisten und der Platoniker, der Peripatetiker und der Kyrenaiker, der Stoiker und der Epikuräer über die eine große Frage führte: Ist das, was gefällt, das Gute, oder doch nicht so ganz? Seine Vorlesungen boten in gedrängter Form alles, was ich an der akademischen Religion haßte; ihre ungefährliche, selbstgefällige Glaubenslosigkeit, ihre hohle Kompliziertheit, die Verwandlung der Grabsteine der toten Märtyrer in Hürden, welche die Lebenden auf ihrem Weg zu einem unterbezahlten, antiquierten Beruf zu überspringen hatten. Und das Gemurmel des alten Gelehrten schien all dies zu bestätigen, wenn er uns, seine Bande von pickeligen Bewerbern um das geistliche Amt, erbarmungslos von Hottentotten-Tabus und Eskimo-Gastfreundlichkeit (fick meine Frau, du Speckhals) zu den langweiligen Griechen und Neoplatonikern schleppte (Wie kann die Seele eine Gestalt haben? Wie kann sie keine haben? Wie kann Gott ein Ich sein? Was kann Er sonst sein? Was ist das Gute dann anderes als das Aufgehen in Gott? Was ist daran gut?), und weiter zu den ausgelassenen, ihre Allwetter-Raumanzüge aus unsichtbarer Wolle strickenden Heiligen, zu Augustinus und seiner concupiscentia, zu Bonaventura und seiner gratia, zu Anselm und seinem librum arbitrium, zu Thomas von Aquino und seiner synderesis, zu Duns Scotus und seinem pondus naturae, zu William Ockham und seinem Rasiermesser, und weiß der Himmel zu wem noch. Als es Frühling wurde, hatten wir uns zu Grotius und seinem jus gentium durchgearbeitet, und als sich die moderne Ethik unter Chillingworths Gemurmel entfaltete, hatte ich, sozusagen in einer fortlaufenden Fußnote, das Parallelvergnügen, seine Tochter zu verführen. Wir trafen uns in der kühlen britischen Sonne des Hobbesschen Realismus, schmetterten mit hemmungslosem Egoismus Bälle aufeinander zu und verabredeten uns zu weiteren Spielen, als Partner. Um die Zeit unserer nächsten Verabredung ließ Hume «Pflicht» und «Recht» explodieren, und Bentham versuchte, den Hedonismus mit seinen Formeln vom größtmöglichen Glück der größtmöglichen Zahl wiederzubeleben. Unser erster Kuß, mehr titillatio als hilaritas, fiel in die Zeit Spinozas. Doch fühlte ich, wie mein conatus, dunkle Mitte meiner selbst, sich herrlich meinem Zwerchfell enthob, als – in der Finsternis meiner geschlossenen Lider – ihre Schwerkraft zum

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