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Der Sonntagsmonat

Der Sonntagsmonat

Titel: Der Sonntagsmonat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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Jungfräulichkeit! – Janes leises Keuchen an meiner Schulter, und ihr Eichelquetschendes Schieben, und das unsichtbare Beben in ihr, und die feuchte Offenbarung meines Samens, klebrig um ihre Muschi herum oder, wie vom Mond hingespuckt, glitzrig auf ihrem Bauch. Der eindringende Liebesakt vollzieht sich, verglichen damit, gedämpft. Die Existentialisten, angefangen bei Kierkegaard, der ein gescheites Gebrüll von sich gab – demjenigen Nietzsches weniger unähnlich als es die zartbesaiteten Gemüter wahrhaben wollen –, taten Essenz und Gemeinsamkeit ab und ließen uns mit einer «Authentizität» zurück, deren Relativität uneingestanden ist. Es dauerte lange, bis Jane sagte, daß sie mich liebe. Von ihrer Jungfräulichkeit (nur wenige feuchte Zentimeter entfernt) meinte sie, sie wolle «sich aufheben». Für einen anderen? So wie die logisch vorgehenden Positivisten glaubten, der Konfusion der Menschen könne durch sorgfältiges Nachschlagen im Wörterbuch ein Ende gemacht werden (siehe C. L. Stevenson, Ethics and Language, 1944 – der letzte, von Chillingworth angeführte Text), so griff ich auf das Wort «heiraten» zurück. Jane nickte schweigend. Ich sah sie als «Weib» { * } und legte los, blind vor Stolz.
    Wie weit ging ich, magst du zu Recht fragen, als ich dieses brave, vornehme Mädchen verführte und damit die Theologie des alten Universalgelehrten unterminierte und widerlegte, seine verdrehte Orakelhaftigkeit, die schlimmer war als jeder Deismus und in der ich – mit Hilfe eines helleren Kopfes etwas weiter vorangekommen – meines Vaters erschreckende Wichtigtuerei angesichts des liberalen Tuns unseres Herrn wiedererkannte? Chillingworth unter uns pflegte in den unpassendsten Momenten verstaubt zu husten, und zwar oft synchron mit Orgasmen, wie um telepathisch ausgelöstes Mißbehagen anzudeuten. Ich war drauf und dran, ihn zu erschlagen, auf daß der Herr lebte.
    Bei ihm gab es keinerlei so unrealistische Gedanken. Er lebte in dieser Welt. Er wußte, daß Mädchen heranreifen und daß ihre Becken Schmetterlingsnetze zum Fangen von Chromosomen werden. Jane war die zweite von drei Töchtern. Die erste war verheiratet gewesen, geschieden und verrückt – so verrückt, daß sie in jenen Jahren damals Trumans Intervention in Korea verurteilte und den Abwurf der Atombombe als Ungeheuerlichkeit bezeichnete. Die jüngste büffelte Geologie an der Universität von Colorado. Jane hatte eine Oberlin-Schule absolviert und war, da sie kein befriedigendes Stellenangebot bekommen hatte, nach Hause zurückgekehrt. Sie arbeitete vormittags in einer Kinderkrippe und unterrichtete außerdem an der Sonntagsschule. Sie spielte Klavier und Flöte. Sie las konventionelle Romane. Außer mir waren alle ihre Beaus ältere Männer gewesen (ein affektierter, schlaksiger Dozent für vergl. Religionswissensch. mit üppig hervorsprießenden Haaren in den Nüstern und üblem Mundgeruch vom Pfeiferauchen; ein schmächtiger Ex-Jesuit mit samtbraunen Bärenaugen und einem scheppernden Stottern, das gut zu seinem zackigen Händeschütteln paßte; ein plumper pazifistischer Hilfsgeistlicher mit einem der Pionierbärte der sich fahrig formierenden Revolution) oder Angehörige allgemein angesehener Minderheiten, ein Nigerianer hier, ein Koreaner da, und alle auf Profit aus – geistlich gesehen. Jane zog Freier an, die sie leicht abschütteln konnte. Der alte Chillingworth mag sogar erfreut gewesen sein, als ich mit meinen rauhen Manieren auf dem Plan erschien; meine Zensur in seinem Kursus war ein B+ gewesen und meine offenbarungsgläubigen Anschauungen amüsierten ihn.
    «Was ist es eigentlich», fragte er mich bei einem jener gar nicht so gestelzten Wohnzimmer-Gespräche, nach denen ich mit Jane hinaufging in ihr vermeintliches Arbeitszimmer oder sie ausführte in das Ersatzparadies eines chinesischen Speiserestaurants oder eines Bogart-Films, «was Sie an Karl Barth so herzerfrischend finden? Worin liegt die Besonderheit, die Ihnen gefällt?»
    Und der Kern meiner Überzeugung explodierte unter seinem milden, grau überwölbten Blick wie ein überhitzter Pingpong-Ball.
    «Sie wissen», fügte er dann hinzu, mit seiner Pfeife, einer Gabel oder seinem Füllfederhalter auf einen Aschenbecher, einen Teller oder einen Buchdeckel klopfend, «diese Art von radikalem Paulinismus tritt immer wieder in der Kirche auf. Marcion. Bonaventura. Duns Scotus. Ockham. Flacius.»
    Ich konnte nicht darüber diskutieren. Ich wollte es auch nicht.

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