Der Spiegel aus Bilbao
ohne
unhöflich zu sein. Sie hatte gerade beschlossen, daß es unmenschlich war, Max
hier auch nur einen Moment länger leiden zu lassen, als Alice B. mit einem
Tablett hereinschwirrte, das mit irgend etwas Heißem und zweifellos Exotischem
beladen war.
Sie bewegte sich immer so
mechanisch, als ob man sie aufgezogen hätte, dachte Sarah. Sie selbst konnte
sich noch daran erinnern, wie Alice B., die Namensgleichheit mit Alice B.
Toklas war offenbar beabsichtigt, aufgetaucht war, um mit Miffy zu leben. Ein
paar Intellektuelle in der Clique hatten daraufhin versucht, Miffy Gertrude zu
nennen, selbstverständlich nach Gertrude Stein, doch daraus war nichts
geworden. Miffy war und blieb Miffy, und damit basta.
Keiner wußte genau oder scherte
sich großartig darum, welche Art von Beziehung Miffy und Alice B. miteinander
verband. Sogenannte Bostoner Ehen zwischen finanziell unabhängigen Frauen, die
entweder keine Männer mochten oder es nicht schafften, von ihnen gemocht zu
werden, gab es hier schon seit ewigen Zeiten. Miffy hatte immer viel von
kurzgeschorenem Haar und Egozentrik gehalten, während Alice B. ein Faible für
ausgefallene Kleidung und exotische Rezepte hatte, und vom Kochen verstand sie
wirklich etwas, das mußte man ihr lassen.
Tante Appie biß gerade wieder
herzhaft in die von Alice B. für diesen Anlaß ersonnene Köstlichkeit und rief:
»Superduper köstlich!«
Max wäre da anderer Meinung,
wie Sarah sofort feststellte, als sie eines der Dinger probierte und die
Füllung in dem luftigen Teig als eine Mischung aus pürierten Meeresfrüchten und
Schlagsahne identifizierte. Max haßte Schalentiere und konnte schwere Speisen
jeglicher Art nicht vertragen. Sie mußte ihn unbedingt warnen. Alice B. würde
einen Riesenaufstand machen, wenn er nur einmal hineinbeißen und den Rest
liegenlassen würde. Als Bradley Rovedock hereinkam und Fren sich ihm zuwandte,
um sich über die unverschämten Kosten des Unterseitenabkratzens zu beschweren,
nutzte sie die Gunst der Stunde, um sich davonzustehlen und auf die andere
Seite des Zimmers zu schlendern.
Es tat ihr leid, daß sie keine
Gelegenheit hatte, ein paar Worte mit Bradley zu wechseln, den sie schon immer
gemocht hatte, doch sie durfte keine Zeit verlieren. Alice B. hatte sich
inzwischen in die Frauengruppe eingereiht, die Max umschwärmte, und verteilte
ihre Pasteten, zuckte mit ihrer spitzen, kleinen Nase mal hierhin, mal dorthin,
und schnüffelte nach irgendwelchen Neuigkeiten, die man intensiver erforschen
oder schnellstens weitergeben konnte.
Alice B. vergaß niemals ein
Gesicht, einen Namen oder eine Skandalgeschichte. Allerdings wartete sie stets
den denkbar ungünstigsten Augenblick ab, um freizügig auszuposaunen, was sie entdeckt
oder gehört hatte. Es fiel ihr auch nie im Traum ein, daß sie sich vielleicht
geirrt oder etwas falsch verstanden haben könnte. Zweifellos war es Alice B.
gewesen und nicht Miffy, die das Gerede in Umlauf gebracht hatte, daß Sarah ihr
ganzes Haus voll von Gott weiß wem aus Lynn hatte. Als Alice B. Max genau
gegenüberstand, schlug sie ihre runden, dunklen Vogelaugen zu ihm auf und
blickte ihn lange nachdenklich an. Dann sagte sie triumphierend: »Ich kenne
Sie. Sie sind doch der Bittersohn-Junge. Was ist eigentlich aus dem Mädchen
geworden, mit dem Sie damals zusammengelebt haben? Becky, hieß sie, glaube ich.
Oder Bertha?«
Sarah bemerkte, wie sich Max
Bittersohns Kiefermuskeln anspannten, doch seine Stimme klang ruhig. »Ihr Name
war Barbara. Als ich zuletzt von ihr gehört habe, lebte sie in der Schweiz.«
»Was machte sie denn da?«
»Das weiß ich nicht.«
Das ging zu weit. Es war
höchste Zeit, daß Sarah einschritt.
»Ich wette, du weißt auch
nicht, daß es schon so spät ist«, sagte sie. »Wir sollten besser gehen, Max. Du
hast mir doch versprochen, mich noch vor sechs nach Hause zurückzubringen.«
»Warum?« wollte Alice B.
wissen.
Sarah ignorierte sie völlig.
Max stellte sein Glas, das er kaum berührt hatte, irgendwo ab.
»Kommt deine Tante auch mit?«
»Ich nehme an, sie wird lieber
noch ein bißchen bleiben. Bist du so nett und kümmerst dich darum, daß sie
jemand nach Hause fährt, wenn sie gehen möchte, Alice B.? Danke für die Pastete
mit den Meeresfrüchten. Sie war hervorragend.«
»Mr. Bittersohn hat noch gar
keine davon probiert.«
Alice B. verstellte ihnen immer
noch den Weg mit ihrem beinahe leeren Tablett. Sarah nahm eine der wenigen
übriggebliebenen Pasteten und schlängelte
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