Der Spiegel aus Bilbao
ich an die arme, liebe Alice B. denke -«
»Hast du dir alles
zurechtgelegt, was du brauchst? Und hast du inzwischen gefrühstückt?« Sarah
hatte nicht vor, sich wieder Erinnerungen an die arme, liebe Alice B.
anzuhören.
»Ja, Liebes. Alles gepackt und
marschbereit. Dieses Früchtebrot ist einfach köstlich. Ich habe mir schon
überlegt, ob du den Rest nicht vielleicht Miffy schenken möchtest.«
»Miffy wird es sowieso nicht
essen, und Max hat noch nicht gefrühstückt. Ich übrigens auch nicht, fällt mir
gerade ein. Außerdem ist drüben bestimmt noch massenhaft Essen übrig.«
Darüber hinaus hatte Miffy
Tergoyne bedeutend mehr Geld für Lebensmittel als Sarah Kelling, und sie würde
auf keinen Fall zulassen, daß Tante Appie hinging und mit Cousine Theonias
liebevoll gebackenem Kuchen die gute Fee spielte. »Mach ihr doch einen
Egg-Nogg, wie du es immer für Onkel Samuel getan hast.«
»Oh ja, das ist eine gute Idee!
Der gute Sam hat auch immer gesagt, daß meine Egg-Noggs die besten sind.«
In Wirklichkeit hatte Onkel Sam
damit sagen wollen, daß Appies Egg-Noggs weniger scheußlich waren als der
übrige Fraß, den er hatte essen müssen, vor allem, weil ihre Großzügigkeit
nicht zuließ, daß sie mit Brandy knauserte. Erinnerungen, besonders die von
Appie Kelling, konnten manchmal auf barmherzige Weise die Wahrheit verklären.
»Also, Sarah, mach dir bitte
keine Sorgen. Ich bin früh genug wieder zurück, damit du hier nicht allein zu
schlafen brauchst«, war Appies Abschiedsgruß, als sie in Max’ Wagen stieg.
»Willst du nicht doch mitkommen und Miffy ein wenig Trost zusprechen?«
»Ich muß auf Mr. Lomax warten«,
schwindelte Sarah. »Und du mach dir bloß wegen mir keine Gedanken. Hier gibt es
rein gar nichts, was ein Einbrecher auch nur geschenkt haben wollte, und
außerdem ist Max ja ganz in der Nähe. Ich habe kein bißchen Angst, also bleib
am besten so lange bei Miffy, wie sie dich braucht. Ruf einfach an, wenn du
frische Kleidung brauchst. Oder das Familienalbum«, fügte sie noch hinzu, als
sich der Wagen bereits in Bewegung gesetzt hatte, und ging wieder ins Haus, um
sich eine Tasse Kaffee einzugießen.
Sie warf einen sehnsuchtsvollen
Blick auf Cousine Theonias Früchtekuchen, entschied jedoch, daß es gemütlicher
wäre, zu warten und mit Max zu frühstücken. Ihr Kompromiß bestand schließlich
darin, sich ein winziges Stückchen Früchtebrot abzuschneiden und gemeinsam mit
dem Kaffee auf die Seitenveranda zu tragen, wo Mr. Lomax ein paar
Adirondack-Stühle aufgestellt hatte, die dringend gestrichen werden mußten.
Alexander hatte vorgehabt, sie in diesem Sommer abzuschmirgeln und neu zu
lackieren. Arbeiten wie diese, die Sorgfalt erforderten, hatten ihm immer viel
Spaß gemacht. Vielleicht fand sie irgendwann die Zeit, sich der Sache selbst
anzunehmen.
Vielleicht konnte sie aber auch
Pete Lomax fragen, fiel ihr ein. Pete war von Beruf Anstreicher, das hatte sie
jedenfalls gehört. Allerdings konnte er mit Arbeit nicht allzusehr eingedeckt
sein, sonst hätte er nicht so viel Zeit übrig, um seinem Onkel zur Hand zu
gehen. Wenn sie richtig darüber nachdachte, kam ihr das allerdings merkwürdig
vor. Im Juni rissen sich die Hausbesitzer hier in der Gegend förmlich um
Anstreicher, und daß die Familie Lomax gute Arbeit leistete, war allgemein
bekannt. Pete schien auch recht kräftig zu sein, den seltenen Gelegenheiten
nach zu beurteilen, bei denen Sarah ihn bisher gesehen hatte.
Vielleicht half er dem nicht
mehr ganz jungen Hausverwalter aus reiner Herzensgüte, doch das konnte Sarah
sich irgendwie nicht vorstellen. Pete schien kein Mensch zu sein, der für diese
Art der Selbstaufopferung viel übrig hatte, und er konnte als Assistent seines
Onkels nicht einmal annähernd so gut verdienen wie durch seine Arbeit als
Anstreicher. Aber vielleicht mochten ihn einige Leute ebensowenig wie sie, so
daß er Schwierigkeiten hatte, allein Aufträge zu bekommen. Sarah beschloß, daß
sie eigentlich keine Lust hatte, ausgerechnet jetzt über Pete Lomax
nachzudenken. Sie wollte im Moment an möglichst gar nichts denken.
Wahrscheinlich befand sie sich in einem Zustand, den ein belesener Besucher
einmal als thalassale Regression bezeichnet hatte, jene wunderbare
Entspanntheit, die Körper und Geist während der ersten Tage am Meer erfüllt,
wenn man nur noch die Sonne auf der Haut, die salzige Luft in der Nase und das
Geräusch der Brandung wahrnimmt. Sie konnte nicht mehr sagen, ob sie erst
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