Der Spiegel aus Bilbao
ist
tot.«
»Das ist doch nicht dein Ernst!
Wie ist das denn möglich? Sie hat doch gestern noch völlig gesund ausgesehen.
War es ein Herzschlag?«
»Vermutlich war es die Axt.«
»Die was?«
»Die Axt. Die vom Holzstoß,
weißt du. Miffy und Alice B. kommen immer so früh nach Ireson Town und fahren
erst wieder so spät -«
»Tante Appie, willst du damit
sagen, sie hat selbst Holz gehackt und sich dabei so schwer verletzt, daß sie —
nein, das kann nicht sein, oder? Irgend jemand hat sie -«
»Ich glaube nicht, daß sie
jemand richtig zerhackt hat, Liebes. Jedenfalls nicht in Stücke. Sonst hätte
Miffy ja nicht gewußt, daß es Alice B. war, nicht? Oh, Sarah!«
Nicht einmal Appie konnte nach
einer derartigen Schreckensnachricht weiterhin froh und munter sein. Sie setzte
sich an den Tisch und vergrub ihr Gesicht in der karierten Serviette, die Sarah
für sie hingelegt hatte.
Sarah holte den Whiskey und goß
ein Schlückchen in ein Saftglas.
»Hier, trink das. Ich mache dir
einen schönen, heißen Kaffee.«
»Sarah, Liebes, ich brauche
keinen -«
»Doch, und ob du den brauchst.
Du stehst noch immer unter Schock.«
»Und was ist mit dir?«
»Ich bin an derartige Dinge
gewöhnt«, teilte Sarah ihr grimmig mit. »Außerdem hast du Alice B. gemocht.«
»Aber natürlich, Liebes. Jeder
hat sie gemocht.«
»Ich jedenfalls nicht.«
»Aber mit Alice B. hatte man
immer so viel Spaß!«
»Alice B. war ein bösartiges
altes Weib. Ihr Sinn für Humor bestand darin, anderen Menschen einen Dolch
zwischen die Rippen zu bohren, wenn sie nicht damit rechneten.«
»Sarah, wie kannst du nur so
etwas sagen?«
»Weil es zufällig genau der
Wahrheit entspricht. Daß sie ermordet wurde, macht sie kein bißchen
liebenswerter. Jetzt ist sie lediglich keine aktive Bedrohung mehr für andere
Menschen. Ich würde mich kaum wundern, wenn du die einzige Person wärst, die
ihr wirklich nach trauert. Und Miffy wahrscheinlich, weil Alice B. sie jetzt nicht
mehr rund um die Uhr bedienen kann.«
»Oh, Sarah.«
Appie Kelling nippte an ihrem
Kaffee, den Sarah vor sie hingestellt hatte, und murmelte automatisch:
»Köstlich. Aber Liebes, das ist ja alles so schrecklich.«
»Das bestreite ich ja auch gar
nicht. Mord ist immer furchtbar. Doch wenn es je einer darauf angelegt hat,
ermordet zu werden, dann war das Alice B. Hat Miffy irgendeine Ahnung, wer es
gewesen sein könnte?«
»Sie konnte kaum noch sprechen.
Ich muß unbedingt zu ihr, Sarah. Du hast doch ein Fahrrad, nicht? Oder
vielleicht würde mich der nette junge Herr, der im Kutscherhaus wohnt -«
»Max Bittersohn? Ich nehme an,
daß er das unter diesen Umständen tun würde, aber ich habe keine Ahnung, wie
spät er heimgekommen ist oder wie lange er schlafen möchte. Kannst du nicht
jemanden von der Clique anrufen? Das Bahnhofstaxi brauchst du gar nicht erst zu
bestellen, das braucht immer Stunden, bis es hier ist. Hat Miffy dir nichts
Genaueres gesagt?«
»Soweit ich es verstanden habe,
ist sie gegen fünf Uhr morgens nach unten gegangen, um sich ein Alka-Seltzer zu
holen, weil sie oben in ihrem Medizinschränkchen keins finden konnte. Aus
irgendeinem Grund ist sie ins Eßzimmer gegangen, und da lag Alice B. auf dem
Boden in einer Lache von -«
Appie stärkte sich mit einem weiteren
Schluck Kaffee. »Miffy sagt, daß es ein Einbrecher gewesen sein muß. Einen
anderen Grund konnte sie sich nicht vorstellen, und in der letzten Zeit gab es
viele Einbrüche hier.«
»In der letzten Zeit?«
»Natürlich. Sonst würden die
Leute ja nicht immer noch davon sprechen, oder? Ich glaube, gestern haben sie
die ganze Zeit von nichts anderem geredet. Pussy Beaxitt haben sie sogar das
Roßhaarsofa ihrer Urgroßmutter gestohlen. Kannst du dir so etwas vorstellen?
Sie sagt, die fahren einfach mit einem Möbelwagen vor und laden das Zeug ein,
frech wie Oskar.«
»Hat Miffy dir erzählt, ob sie
irgend etwas vermißt?«
»Sie war viel zu aufgeregt -«
Was soviel hieß wie viel zu
betrunken, um klar denken zu können, dachte Sarah. Mit einer Leiche auf dem
Fußboden konfrontiert, war Miffys instinktive Reaktion sicher der Griff nach
der nächstbesten Ginflasche gewesen.
»Am besten gehst du sofort zu
ihr«, sagte sie laut. »Man sollte Miffy im Moment wohl besser nicht allein
lassen. Hier, iß ein Stück Kuchen, und trink noch eine Tasse Kaffee. Du kannst
nicht mit leerem Magen hingehen, sonst wird dir bestimmt schlecht. Während du
frühstückst, laufe ich schnell zum Kutscherhaus
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