Der Spiegel der Königin
an ihr vorbeigegangen waren. Sie huschte an Türen vorbei und vernahm Gesprächsfe t zen in fremden Sprachen. Unbehelligt kam sie am dritten Gang an und stand, wie Victor es ihr gesagt hatte, vor einer getäfelten Tür. Elin nahm ihren ganzen Mut z u sammen und klopfte.
Das Gesicht einer Kammerfrau erschien. Sie war in ein schwarzes Kleid geschnürt und sah aus wie ein tra u riger Schoßhund. Ihr weißes Haar war zu winzigen Löckchen gedreht, ein beinahe erschreckender Kontrast zu ihren tiefen Falten und ihrem zerknitterten Mund. Elin wurde sich bewusst, dass sie das groteske Gesicht a n starrte. Schnell machte sie einen Knicks.
»Der Beinwärmer für Madame Joulain«, sagte sie le i se.
Die Frau runzelte die Stirn.
»Wir haben nicht danach rufen lassen.«
Elin tat so, als würde das große Gewicht der Kapsel sie nach unten ziehen.
»Davon weiß ich nichts«, sagte sie unterwürfig. »Mir wurde lediglich aufgetragen, Ihnen das hier zu bringen.«
»Seit wann verrichtet das Küchenpersonal die Arbeit der Diener?«
»Alle Diener sind auf der Suche nach dem Medai l lon.«
Angewidert betrachtete die Frau Elins Rock, der am Saum noch durchnässt war. Elin verzog das Gesicht, als hätte sie sich an dem heißen Kupfer verbrannt, und schü t telte die Hand in gespieltem Schmerz.
»Nun gut, komm herein«, sagte die Kammerfrau en d lich. Die Tür schwang auf. Ein rechteckiger Raum mit zwei Verbindungstüren zu den anderen Zimmern wurde sichtbar. Im Kamin flackerte ein träges Feuer vor sich hin. Vor dem Fenster, das halb hinter schweren Vorhä n gen verborgen war, trieb Schnee vorbei. Die alte Ka m merfrau mit den Locken eines jungen Mädchens sagte etwas in französischer Sprache, das sich für Elin anhörte, als würde jemand mit einer Halsentzündung nuscheln.
Die angesprochene Dame, die in viel zu dünner Kle i dung in einem Sessel saß, hatte Haut wie Milch und blä u lich angelaufene Fingernägel. Ihre Dekolletage war so tief ausgeschnitten, dass es Elin schon beim Hinsehen fror. Die Dame hustete und blickte von ihrer Näharbeit auf. Elin war froh, sich an der Wärmflasche festhalten zu können. Ihre Hände zitterten vor Aufregung und das Herz pochte ihr bis zum Hals.
»Die Wärmflasche für Madame … Joulain«, sagte sie kaum hörbar.
Die Kammerfrau zog eine Augenbraue hoch und übe r setzte Elins Worte. Die Dame antwortete etwas und schenkte Elin ein flüchtiges Lächeln.
»Na los, bring sie ihr!«, befahl der zerknitterte Mund. »Und hilf gleich dabei, den Sessel zum Feuer zu drehen.« Elin gehorchte. Ihre Knie waren weich, als sie näher trat, den Ses s el wie befohlen verschob und die Wärmflasche auf die Stelle am Boden legte, auf die Madame Joulain de u tete. Ein süßer Duft schlug ihr entgegen. Ein wenig roch es nach verbrannten Kräutern, aber auch nach Bl ü ten – mitten im Winter. Die Hofdame duftete nach R o sen!
»Bien«, sagte Madame Joulain und hustete wieder. Dann nahm sie im Sessel Platz und lüpfte ihre Röcke. Ein Fuß in einem mit einer Schleife verzierten Schuh erschien. Mit einer anmutigen Bewegung schob die D a me die Wärmflasche unter die mit Spitzen besetzten U n terröcke und ließ den Stoff darüber fallen. Dann beugte sie sich über ihre Näharbeit und vergaß Elin auf der Ste l le. Es war nicht Ebbas Tuch, das sie ausbesserte, sondern ein Stück mit Silber durchwirkter Brokat, in den die D a me eine Blume stickte. Langsam zog sich Elin in Ric h tung Tür zurück. Sie wusste nicht, ob sie sich umdrehen durfte, also schlurfte sie rückwärts zur Tür. Dabei sah sie sich in dem Raum um. In einem Korb auf einem Hol z sekretär lag etwas, das an eine Wolke erinnerte – weißer Stoff bauschte sich dort. Eine rote Ranke lugte über den Korbrand. Fräulein Ebbas Tuch! Elin zögerte.
»Ist noch etwas?«, fragte die Kammerfrau.
»Nein.«
»Dann geh!«
Schon lag Elins Hand auf der Bronzeklinke. Fieberhaft überlegte sie, während sie ihren Blick durch das Zimmer schweifen ließ. Dann entdeckte sie etwas, das vor M a dame Joulains Füßen lag. Das Garnknäuel war herunte r gefallen und in die Nähe des Feuers gerollt. Irgendj e mand musste Elins Stoßgebet erhört haben! Sie räusperte sich.
»Madame Joulain hat ihr Garn verloren.«
»Tatsächlich«, erwiderte der weißhaarige Drache tr o cken. »Danke. Und jetzt geh!«
Elin drückte die Klinke hinunter, aber sie öffnete die Tür noch nicht. Mit angehaltenem Atem beobachtete sie, wie die Kammerfrau Madame Joulain das
Weitere Kostenlose Bücher