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Der Spiegel der Königin

Der Spiegel der Königin

Titel: Der Spiegel der Königin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: balzon
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konnte, lief sie die Holzstiege hinauf und ließ sich von einem Matrosen an Deck helfen.
    Nur wenig später erschien Kristina, die Zornesröte noch im Gesicht.
    »Endlich!«, rief sie ihrem Kammerdiener Johan Holm zu. »Ich dachte schon, der Kanzler würde mich am Hafen anketten, um mich zurückzuhalten.« Sie entdeckte Elin und riss die Augen auf. »Was machst du denn hier? Wo ist Lovisa?« Elin griff zum Geländer und machte sich auf einen Wutanfall gefasst.
    »Sie kommt nicht mit.«
    »Wie bitte? Ich habe ihr befohlen mitzufahren!«, brül l te Kristina. Elin nickte und versuchte ruhig und überlegt zu antworten.
    »Es ist meine Schuld«, sagte sie. »Ich habe ihr gesagt, dass Sie mich an ihrer Stelle mitnehmen werden. Ni e mand sollte d azu gezwungen werden, über das Grab e i nes gelie b ten Menschen zu fahren.«
    Kristina fluchte. »Diese schwedischen Witwen! Sie bereiten mir Kopfschmerzen wie schwarze Krähen, die noch Jahre über der Grabstätte kreisen.«
    Es war nicht klug, Kristina eine Antwort zu geben, wenn sie so schlecht gelaunt war wie an diesem Tag. Trotzdem hatte Elin das Gefühl, Lovisa verteidigen zu müssen.
    »Sie wissen, warum sie trauert«, erwiderte sie. »Es e r scheint mir grausam, ihren Schmerz nicht zu respekti e ren.«
    Kristina zog spöttisch eine Augenbraue hoch.
    »Ach ja? Na, an diese weisen Sätze werde ich dich e r innern, wenn du die Königin aller Witwen kennen lernst.«
    Elin atmete auf. Sie durfte also mitfahren – und Lovisa würde nicht, wie Elin befürchtet hatte, doch noch zum Schiff gerufen werden. Zu ihrer Erleichterung sah sie, dass Kristinas Wut bereits wieder abkühlte.
    »Freuen Sie sich denn nicht darauf, Ihre Mutter wieder zu sehen?«, fragte Elin leise.
    Kristina ließ sich Zeit mit einer Antwort. Sie sah nachdenklich zu den Inseln hinüber und seufzte.
    »Das ist ja das Seltsame«, sagte sie und lächelte plöt z lich wieder. »Dass ich mich trotz allem ein wenig freue. Ich muss verrückt sein. Sehnt sich ein Gefangener nach seinem Kerkermeister ? «
    Das Schiff legte ab und nahm langsam Fahrt auf. Staunend betrachtete Elin Stockholm zum ersten Mal mit den Augen einer Reisenden. Wie majestätisch es wirkte, wenn man nur die Front der prächtigen Häuser sah, die den Hafen säumten!
    Händler, die die lichtlosen und zum Teil schäbigen Gassen dahinter nicht zu Gesicht bekamen, mussten den Eindruck gewinnen, eine sehr reiche Stadt vor Augen zu haben. Es war seltsam, im Stehen an dieser Pracht vo r beizugleiten. Vage erinnerte sich Elin an den Geruch von Salz und Pfeifenrauch, seltsam fern und doch wie der Duft einer längst vergessenen Heimat. Als Kind war sie auf einem Schiff nach Schweden gebracht worden – war es möglich, dass sie sich nun daran erinnerte?
    Bald hatte das Schiff die Stadt hinter sich gelassen und nahm Kurs auf die Ostsee. An der großen Stadtinsel S ö der mit ihren steilen Granitklippen vorbei ging es weiter in den Archipel unzähliger unbewohnter Inseln und I n selchen. Auf manchen sah man bizarre Felsformationen, geschliffen von den Stürmen vieler Jahre. Manche der Schären waren ganz kahl, auf anderen fanden nur einige vom Sturm zerzauste Birken Platz. Möwenschreie durc h schnitten die Stille. Elin erschienen sie wie die Klagela u te verdammter Seelen.
    Sie betrachtete die Wellen und hatte das Gefühl, bis auf den Grund des Mälarsees sehen zu können. In ihrer Vorstellung war es ein Friedhof mit Masten statt Gra b steinen. Ungeheuer lagen am Grund und äugten zum schwarzen Umriss des Schiffes empor. Sie schauderte und rieb sich die Arme.
    Kristina stand an Deck und sprach während der Fahrt kaum ein Wort. Aber Elin sah, wie sie nervös ihre Finger knetete. Die Festung Vaxholm kam in Sicht, doch das Schiff der Königinmutter war weit und breit nicht zu s e hen. Der Himmel hatte sich verdüstert, ein kühler So m merwind ließ Elin frösteln. Als die ersten Regentropfen fielen, zogen sie sich in d ie Kajüte unter Deck zurück. Beim ersten Donne r schlag zuckte der Kammerdiener zusammen und sprach ein Gebet.
    »Weiterfahren«, befahl Kristina dem Kapitän.
    »Dann halten Sie sich gut fest«, erwiderte der Se e mann ungerührt.
    Der Wind wurde zum Sturm und ließ das Schiff auf den Wellen tanzen. Verglichen mit dieser Fahrt waren Elins Ritte auf dem bockigen Enhörning ein Kinderspiel. Nie hätte sie dem Kammerdiener Johan, der längst vom Beten zum Fluchen übergegangen war, solche Worte z u getraut. Sein Gesicht nahm den Farbton von

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