Der Spiegel der Königin
Reaktion der Hofdame verblüffte sie doch. Lovisa wurde blass und drückte sich ein Tasche n tuch an den Mund.
»Diese verfluchte Brandenburgerin«, murmelte sie. »Wie kann die Königin mir das antun ? «
»Was redest du da!«, rief Elin. »Es ist eine Ehre, dass die Königin dich mitnimmt. Ich würde so gerne mitfa h ren.«
»Aber ich nicht!«, schrie Lovisa sie plötzlich an. »Lieber würde ich Scherben essen, als auf ein Schiff zu steigen!« Sie erschrak vor der Heftigkeit ihrer eigenen Worte und nahm sich sofort wieder zusammen. »Es tut mir Leid, Elin«, flüsterte sie. »Du musst verstehen – es gibt Seeungeheuer an der Küste und scharfe Klippen und Granitfelsen, an denen die Schiffe zerschellen können. Wer will schon im kalten Wasser begraben sein?«
»Es sieht nicht nach Sturm aus.«
Lovisa schluckte und schüttelte heftig den Kopf.
»Was weißt du schon?«, sagte sie mit hoher, zittriger Stimme, die Elin an ihr nicht kannte. »Nichts weißt du! Gar nichts!« Betroffen sah Elin, wie eine Träne über L o visas Wange lief und ihren Weg in die tiefe Falte zw i schen Nase und Mundwinkel fand. Unwirsch wischte Lovisa sie weg und wandte Elin den Rücken zu.
»Geh und sag der Königin, dass morgen alles bereit sein wird.«
Elin rührte sich nicht. Lovisas Schultern zuckten. Ein unterdrücktes Schluchzen erklang. Elin zögerte, dann aber trat sie näher und tat etwas, was sie noch nie gewagt hatte: Behutsam umarmte sie die alte Dame. Eine eiskalte Hand krallte sich in Elins Unterarm.
»Ist schon gut, Kind. Ist nicht schlimm. Sieh nur, was für eine alte Närrin ich bin. Es ist schon zwanzig Jahre her und ich k ann immer noch nicht anders, als mir jeden Sommer die Augen auszuheulen.«
»Was ist passiert, Lovisa? Sag es mir!«
Lovisa drehte sich nicht um und löste sich auch nicht aus Elins Armen. Durch das Muster des Bleinetzes am Fenster schimmerte das dunkelblaue Wasser. Lange b e trachtete Lovisa die Wellen. Um keinen Preis der Welt hätte Elin die alte Frau in diesem Augenblick losgela s sen. Der Gedanke, Lovisa würde sich in ihrer Trauer au f lösen und in sich zusammenfallen wie ein leeres Kleid, machte ihr Angst.
»Ich hasse nichts so sehr wie Schiffe«, flüsterte Lovisa schließlich. Wieder schwieg sie und Elin wagte nicht nachzufragen. Als sie wieder zu sprechen begann, war ihre Stimme so leise, dass Elin anfangs kaum verstand, was sie sagte. »Kennst du die Geschichte von der W a sa?«
»Das Schlachtschiff, das bei seiner Jungfernfahrt im Hafen gesunken ist?«
Lovisa nickte und versteifte sich noch mehr.
»Es geschah an einem Augusttag. Viele Wochen lang hatte man an Gustav Adolfs prächtigstem Schlachtschiff gebaut. Der König befand sich im Krieg und drängte in seinen Briefen immer wieder, die Wasa vorzeitig fertig zu stellen. An einem Tag wie heute schleppten sie das Schiff von der Werft zur Schleuse. Dort nahm die Wasa zum ersten Mal Fahrt auf – nur die Hälfte der Segel war gesetzt. Wir standen an Land und winkten. Ganz Stoc k holm blickte auf das prächtigste Kriegsschiff, das Schweden je gesehen hatte. Es war in bunten Farben b e malt und mit geschnitzten Holzfiguren verziert. Die K a nonenpforten waren geöffnet und wir blickten auf die Mündun g en. Die Galionsfigur hatte die Gestalt eines springe n den Löwen – du weißt ja, dass Gustav Adolf der › Löwe aus der Mitternacht genannt wurde. Am prächtig s ten jedoch waren die Holzfiguren an den Seiten – daru n ter eine Meerjungfrau mit blondem Haar. Ein bisschen erinnerst du mich an sie.« Sie räusperte sich und fuhr mit festerer Stimme fort: »Wir standen am Ufer und jubelten und winkten, als die Wasa zur Jungfernfahrt ablegte. E i ne leichte Böe neigte das Schiff, aber es richtete sich wieder auf. Doch dann, vor der Insel Beckholm, wurde es von einer zweiten Böe erfasst, neigte sich gefährlich weit zur Seite – und kippte schließlich um. Wasser drang durch die Kanonenpforten der beiden Batteriedecks und der Jubel verwandelte sich in Jammer. Wir sahen die Wasa sinken! Es ging so schnell, dass ich manchmal noch he u te hoffe, es wäre nur ein böser Traum. Alles, was von der Pracht blieb, waren die Masten mit den schwedischen Flaggen, die wie ein höhnisches Mahnmal des Versagens aus dem Wasser ragten. Nach einigen Wochen wurden sie unter Wasser abgesägt, um die Pei n lichkeit unsichtbar zu machen. Fünfzig Leute ertranken bei dieser Jungfer n fahrt – Seeleute, Soldaten, Musketiere und Offiziere. Unter ihnen
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