Der Spiegel der Königin
musterte sie Kristinas wenig feierliches Kleid und das unordentlich hochgesteckte Haar.
Elin blinzelte vor Verwirrung. Das, was sie hier sah, war ein völlig falsches Bild. Mutter und Tochter hätten aufeinander zurennen, sich in die Arme fallen und sich über das Wiedersehen freuen müssen. Doch alles, was Kristina zustande brachte, war ein nervöses Lächeln. M a ria Eleonora hatte für ihre Tochter nicht einmal das übrig. »Wie ich sehe, hast du deine Hofdame mitgebracht«, sa g te sie auf Französisch. »Das ist also das Fräulein Sparre, von dem du mir in deinen Briefen berichtet hast?«
»Nein«, erwiderte Kristina. »Das ist Fräulein Elin. Sie ist mir ebenso teuer wie Ebba. Ihr verdanke ich sogar mein Leben. Ich dachte, sie würde sich freuen, unser Wiedersehen zu begleiten, da sie sich nach mütterlicher Wärme sehnt.«
Elin senkte den Kopf und knickste tief. Verstohlen li n ste sie dabei zu Maria Eleonoras Händen, an denen blu t rote Rubine funkelten. Beim Anblick der spitzen Finger musste sie an Gustav Adolfs Herz denken. Dennoch – eine Wahnsinnige hatte sie sich anders vorgestellt.
»Ein Kind, das seine Mutter liebt!«, rief Maria Ele o nora aus. »Wie rührend! Das ist die Hingabe, die ich vermisse. Meine Tochter lässt mich verhungern!«
»Mit einer solchen Pension, wie Sie sie von mir b e kommen, dürfte es ein Kunststück sein zu verhungern«, erwiderte Kristina. Elin konnte sehen, wie viel Beher r schung es die Königin k ostete, ruhig zu bleiben. Maria Eleonoras Lächeln war so hart wie das der Steinlöwen auf Tre Kronor. Mit einer anmutigen Geste bat die Kön i ginmutter in die Kajüte zu Tisch. Es gab frische Meere s forellen, Pasteten und kunstvoll angerichtetes Zucke r werk. Während die ve r schwenderisch teuer gekleideten Lakaien Wein kreden z ten, begann Maria Eleonora zu klagen, wie ärmlich sie leben müsse. Elin warf einen Se i tenblick zu Kristina. Ihre Königin brachte vor Wut und Enttäuschung kaum ein Wort heraus.
»Während Sie hier Konfekt speisen und Wein trinken, sind die Menschen in den deutschen Städten gezwungen, Gras zu essen«, sagte sie schließlich. »Man sagt, in Zweibrücken habe eine Mutter sogar ihren Säugling g e kocht und gegessen. Und wenn Sie mich fragen, Mad a me, glaube ich das sofort.« Elin verschluckte sich bei diesen Worten und musste husten. Mit einem Mal schmeckte das duftende Forellenfleisch nach bitterem Gift.
»Solche geschmacklosen Äußerungen kenne ich von dir zur Genüge«, seufzte Maria Eleonora pikiert. »Nun, so zerschlägt sich die Hoffnung, dass sich zumindest di e se Unart gebessert hätte.«
»Das sind Geschichten, die der Krieg erfindet, nicht ich«, gab Kristina kühl zurück.
»Mein liebes Kind, gibt es etwas Langweiligeres als das Gerede über Krieg?«
»Nun, es ist meine Aufgabe, darüber zu reden. Ich a r beite hart daran, endlich den Frieden zu verhandeln, nachdem sich Schweden seit bald zwanzig Jahren an di e sem unseligen Krieg beteiligt.«
»Dieser Krieg ist schon deshalb eine Schande, da er meiner Tochter die Zeit stiehlt, sich die Haare anständig zu frisieren.« Fassungslos starrte Elin die Königinmutter an. Maria Eleonora bemerkte ihren Blick und lächelte. »Wenn du klug wärst, würdest du dich mit weniger hü b schen Mädchen umgeben, meine Tochter. Vielleicht würdest du dann ein wenig aparter erscheinen.« Sie tup f te sich mit ihrer Serviette die Mundwinkel ab. Elin mus s te sich beherrschen, um nicht an Kristinas Stelle zu an t worten. »Sieh dich nur an, mein Kind«, fuhr Maria Ele o nora fort. »Dein Gesicht ist von der Sonne verbrannt – du siehst aus wie ein Bauernmädchen!«
»Da Sie als meine Mutter behaupten, so arm wie ein Bauer leben zu müssen, ist das doch nur passend«, sagte Kristina trotzig.
Maria Eleonora warf die Serviette hin. Ihr wollüstiger Mund verzog sich vor Empörung. »Meine eigene Tochter verfolgt mich mit Spott! Gerade du solltest verstehen, dass mir an meinem Wohl nicht gelegen ist. Aber deinem Vater und meinem verstorbenen Gatten bin ich es schu l dig, ein Leben zu führen, das meinem Stand entspricht!«
»Also mit Affen und Zwergen und Gauklern«, spottete Kristina.
»Von deinen dreißigtausend Talern kann ich kaum meine Zofen bezahlen!«, jammerte Maria Eleonora. »Von meinen Coiffeuren ganz zu schweigen!« Ihre Stimme kippte ins Hysterische. »Schweden ist es mir schuldig! Und du bist mir Hochachtung und alle Liebe der Welt schuldig!« Elin duckte sich, als die Königi n
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