Der Spiegel im Spiegel
Reisetasche.
Das einzige, was dem Feuerwehrmann von seiner Ausrüstung noch verblieben war, war das blinkende Beil an seiner Seite. Er nahm es aus dem Halfter.
«Jetzt und hier!» sagte er laut. «Jetzt und hier!»
Mit der spitzen Rückseite des Beils zerbrach er das Schloß der Reisetasche, dann öffnete er sie langsam und mit größter Behutsamkeit. Sie war leer.
Er richtete sich auf. Kalter Schweiß rann ihm von den Schläfen über die Wangen.
«Siebenhundertachtundsechzig ...», dröhnte der Lautsprecher, «siebenhundertsiebenundsechzig ... siebenhundertsechsundsechzig ...»
Und leise, aber deutlich und unverwechselbar, war nun hinter der teilnahmslosen Stimme, die die Zahlen aufsagte, das Ticken zu hören. Es wurde immer lauter und bedrohlicher.
Der Feuerwehrmann kämpfte sich aus der Kathedralenhalle hinaus. Ein paar Mal wurde er wieder zurückgedrängt, aber nach einiger Zeit gelang es ihm doch, die Bahnsteige zu erreichen. Die Lautsprecherstimme zählte jetzt ununterbrochen, das Ticken hämmerte.
«Hundertdreiundfünfzig ... hundertzweiundfünfzig ... hunderteinundfünfzig ... hundertfünfzig ... hundertneunundvierzig ...»
Als er schließlich die Stelle wieder erreichte, wo die Gleise in den leeren Raum hinausragten, fand er dort das Büßergewand liegen, das die junge Frau getragen hatte. Er hob es auf und setzte sich am äußersten Rand des Bahnsteigs nieder.
In weiter Ferne sah er, wie Abendwolken andere Inseln durch den dämmernden Raum ziehen, manche dunkel, manche erleuchtet wie die, auf der die Bahnhofskathedrale stand.
«Vielleicht ist doch ein Zug abgefahren», sagte der Feuerwehrmann in die Leere hinaus, «ich weiß nicht, wohin sie wollte, aber vielleicht ist sie inzwischen angekommen ...»
Und während seine Hände über den schweren, schwarzen Stoff des zerschlissenen Kleides strichen, hörte er zu, wie das Ticken im Lautsprecher unerträglich laut wurde und die teilnahmslose Stimme die letzten Zahlen herunterzählte:
«Sieben ... sechs ... fünf ... vier ... drei ... zwo ... eins ... null ...»
SCHWERES SCHWARZES TUCH,
nach den Seiten und nach oben sich im Dunkeln verlierend, hängt in senkrechten Falten hernieder, die bisweilen, vom unmerklichen Luftzug bewegt, ein wenig hin und zurück wehen.
Man hatte ihm gesagt, dies sei der Vorhang der Bühne, und sobald er sich zu heben begönne, solle er unverzüglich mit seinem Tanz beginnen. Es war ihm eingeschärft worden, sich nur ja durch nichts irritieren zu lassen, denn bisweilen sähe es von hier oben so aus, als sei der Zuschauerraum nichts als ein leerer, finsterer Abgrund, bisweilen schiene es aber auch, als blicke man auf das emsige Treiben eines Marktes oder einer belebten Straße, auf ein Schulzimmer oder auch einen Friedhof hinunter, doch dies alles sei Sinnestäuschung, kurzum, er solle, ohne sich im geringsten darum zu kümmern, welchen Eindruck er habe, ob jemand ihm zusähe oder nicht, gleichzeitig mit Aufgehen des Vorhangs anfangen, sein Solo zu tanzen.
So stand er nun also. Standbein und Spielbein gekreuzt, die rechte Hand hängend, die linke locker auf die Hüfte gestützt, und erwartete den Beginn. Von Zeit zu Zeit, wenn die Ermüdung ihn zwang, wechselte er diese Stellung, sozusagen in sein seitenverkehrtes Spiegelbild sich verwandelnd.
Noch wollte der Vorhang nicht aufgehen.
Das wenige Licht, das irgendwo aus der Höhe kam, war auf ihm versammelt, doch war es kaum stark genug, daß er die eigenen Füße sehen konnte. Der Kreis der Helligkeit, der ihn umgab, ließ ihn gerade noch das schwere, schwarze Tuch vor sich erkennen. Das war sein einziger Anhaltspunkt für die Richtung, in der er sich halten mußte, denn die Bühne lag in völligem Dunkel und war weitläufig wie eine Ebene.
Er überlegte sich, ob es wohl überhaupt Kulissen gab und was sie darstellen mochten. Für seinen Tanz waren sie nicht weiter wichtig, aber er hätte doch gern gewußt, in welcher Umgebung man ihn sehen würde. Ein Festsaal? Eine Landschaft? Gewiß würde mit Aufgehen des Vorhangs auch die Beleuchtung wechseln. Dann wäre auch diese Frage geklärt. Er stand und wartete, Standbein und Spielbein gekreuzt, die linke Hand hängend, die rechte nachlässig auf die Hüfte gestützt. Von Zeit zu Zeit, wenn die Ermüdung ihn zwang, wechselte er die Position, sich abermals in das seitenverkehrte Spiegelbild seines Spiegelbildes verwandelnd.
Er durfte sich nicht zerstreuen lassen, denn jeden Augenblick konnte der Vorhang sich heben. Dann
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