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Der Spiegel im Spiegel

Der Spiegel im Spiegel

Titel: Der Spiegel im Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Ende
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verbirgst du dich und zeigst dein Gesicht nicht? Ich weiß es: Weil du mich vernichten willst. Du willst mich zu dir hinauslocken, damit ich ins Leere falle.»
    Er schweigt eine Weile und sagt endlich:
    «Lerne fallen!»
    Aufatmend siehst du, wie die verhüllte Gestalt aus deinem Blickfeld verschwindet. Aber nicht sie hat sich geregt. Die Kuppelhalle dreht sich langsam weiter und mit ihr der große runde Tisch, auf dessen Mitte du sitzt, klein und zerbrechlich. Und es dreht sich der Riß in der Mauer fort von der Gestalt dort draußen.
    Aber etwas ist anders geworden. Der Spalt schließt sich nicht wieder. Und hinter deinen gemalten Sternen, außerhalb deiner festgegründeten, nie bezweifelten Welt bleibt jenes Andere gegenwärtig, das dir alles fragwürdig macht. Du kannst dich dagegen nicht wehren. Aber du bist auch nicht bereit, es gelten zu lassen. Lange verharrst du so im Gefühl, daß dir eine Wunde geschlagen wurde, die nie wieder heilen wird. Nichts wird mehr sein wie früher.
    Und dann geschieht es zum anderen Mal, daß die schräg in den reglosen Sturm gelehnte Gestalt in deinen Blick kommt. Sie hat sich nicht entfernt. Sie hat auf dich gewartet.
    «Komm!» sagt die sanfte, tiefe Stimme, «lerne fallen!»
    Du antwortest: «Schlimm genug, wenn es einem widerfährt, daß er ins Leere stürzt. Aber es selbst zu wollen oder gar es zu lernen, ist frevelhaft! Du bist ein Versucher, ich werde dir nicht folgen. Also geh fort!»
    «Fallen wirst du!» sagt der Verhüllte, «und wenn du es nicht gelernt hast, wirst du es nicht können. Also laß alles los! Denn schon bald wird dich nichts mehr halten.»
    «Du bist eingebrochen in meine Welt» schreist du ihn an, «ich habe dich nicht gerufen. Gewalttätig hast du zerbrochen, was mein Schutz und mein Eigentum war. Du kannst nur zerstören, was mich trägt, aber du kannst mich nicht zwingen, dir zu gehorchen.»
    «Ich zwinge dich nicht», sagt der Verhüllte, «ich bitte dich, kleiner Blutsbruder! Es ist an der Zeit.»
    Die Gestalt schweigt, und während sie schon wieder deinem Blick entschwindet, hebt sie die Hand und hält sie dir hin, und dir scheint, du habest im Licht des immerwährenden Blitzes in der Handwurzel das blutige Mal eines Nagels gesehen. Doch dein Blick war schon dabei, sich abzuwenden, und du hast dich weiter gedreht auf deinem Tisch unter der Kuppel.
    Du sagst dir, daß all das nur Blendwerk ist. Früher oder später wird der Spalt im Gemäuer sich wieder schließen, als ob er nie gewesen wäre. Und es wird sich zeigen, daß er in Wirklichkeit nie vorhanden war, denn er kann gar nicht da sein, die Mauern sind uralt und unzerstörbar. Was immer gewesen ist, wird immer sein. Alles andere ist Täuschung, wer weiß wodurch entstanden. Man darf sich nicht darauf einlassen. Und dann diese furchtbare Forderung! Enthielt sie nicht sogar eine Drohung? Und wenn du nach der Hand gegriffen hättest, wer sagt dir, daß sie dich halten würde? War sie denn überhaupt ausgestreckt, um dich zu halten? Oder vielleicht nur, um dich herauszureißen aus deiner sicheren kleinen Welt und dich in den Abgrund zu schleudern? Nein, es wird besser sein, du läßt dich von dem dort draußen nicht mehr finden. Mach dich noch kleiner! Verbirg dich vor ihm! Wenn er dich nicht mehr entdecken kann, läßt er vielleicht ab von dir, und alles wird wieder wie einst.
    Die Kuppelhalle dreht sich langsam und mit ihr der große runde Tisch samt Städten, Dörfern und Seen und in der Mitte dir selbst. Und noch ein drittes Mal tritt in dein Blickfeld die verhüllte Gestalt im reglosen Sturm vom immerwährenden Blitz erhellt.
    «Kleiner Blutsbruder», sagt die Stimme, und diesmal klingt sie mühsam, als spräche sie unter Schmerzen, «hör mich und habe Vertrauen! Du kannst nicht mehr bleiben, wo du bist. Komm heraus!»
    «Wirst du mich denn auffangen und halten, wenn ich falle?» fragst du.
    Der Verhüllte schüttelt langsam den Kopf.
    «Wenn du fallen gelernt hast, wirst du nicht fallen. Es gibt kein oben und unten, wohin also solltest du fallen? Die Gestirne halten sich gegenseitig im Gleichgewicht auf ihren Bahnen, ohne sich zu berühren, weil sie miteinander verwandt sind. So soll es auch mit uns sein. Etwas von mir ist in dir. Wir werden uns gegenseitig halten, und nichts sonst wird uns halten. Wir sind kreisende Sterne, darum laß alles los! Sei frei!»
    «Wie kann ich wissen, daß es wahr ist, was du sagst?» rufst du verzweifelt.
    «Aus dir selbst», antwortet er, «weil ich in dir

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