Der Spiegel im Spiegel
der die Stunden schlägt ohne Pause, die Stunden der Reue, die Stunden der Gebete, die blauen Stunden, die Morgenstunden, den Stundentag.
Und die Nacht.
Die Mutter schaut ihn nicht an, den Riesen. Sie blickt an ihm vorbei zum Fenster hinaus und spuckt verächtlich. Draußen geht der Same auf, blüht und verwelkt.
Im dunklen Gang regt sich ein magerer Schatten, ihr Mann.
«Soll ich den Kaffee machen?» fragt er mürrisch.
Die Mutter hat nichts gehört. Sie schnarcht. Und während sie schnarcht, gebiert sie drei Kinder. Der Knabe ist tot, die beiden Mädchen leben.
Der Mann nimmt die Mädchen und trägt sie in die Stube, wo schon viele Kinder sind. Den Knaben legt er draußen zwischen die Saat. Die Mutter ist aufgewacht und kaut wieder. Der Mann geht in den Stall und betrinkt sich. Die Kühe kauen wie die Mutter. Der Mann schlachtet eine Kuh. Die Mutter ißt sie auf und er und die Kinder. Die Saat geht auf. Alle essen Brot und löffeln die Milch der Mutter und der Kühe.
Der Mann liegt auf dem Ofen und schläft. Die Mutter gebiert wieder zwei Kinder. Die Kühe kauen. Der Vater schlachtet die Mutter. Er ißt sie auf mit den Kindern, auch der Hund bekommt ein Stück. Der Mann bemerkt seinen Irrtum, geht in den Stall und betrinkt sich.
Während er schläft, klettert die älteste Tochter auf den Tisch. Ein Schatten regt sich im Gang, ein fremder Mann. Die Standuhr schlägt blaue und andere Stunden. Und die Nacht.
Die Tochter gebiert zwei Kinder. Als der Vater zurückkommt und alles sieht, weint er ein bißchen. Später legt er sich in die Sonne und bleibt liegen.
Der Fremde vergräbt ihn unter der Saat, die aufgeht. Die Tochter kaut. Der Fremde geht in den Stall und betrinkt sich.
LANGSAM WIE EIN PLANET SICH DREHT, DREHT SICH DER GROSSE RUNDE TISCH
mit der dicken Platte. Darauf ist eine Landschaft aufgebaut mit Bergen und Wäldern, Städten und Dörfern, Flüssen und Seen. Im Zentrum von allem, winzig und zerbrechlich wie ein Figürchen aus Porzellan, sitzt du und drehst dich mit.
Du weißt von der steten Bewegung, doch deine Sinne nehmen sie nicht wahr. Der Tisch steht mitten in einer Kuppelhalle, die sich ebenfalls dreht mit ihrem steinernen Boden, dem Gewölbe, den Mauern, langsam wie ein Planet.
Fern in der Dämmerung siehst du längs der Wände die Schränke und Truhen, die große, alte Standuhr, welche Sonne und Mond zeigt, dazwischen die Wände, die mit Sternen bemalt sind, da und dort ein Komet, und hoch über dir in der Kuppel die Milchstraße. Keine Fenster, keine Tür. Hier bist du sicher, alles ist dir vertraut, alles ist fest gefügt, du kannst dich auf alles verlassen. Das ist deine Welt. Sie dreht sich, und du in der Mitte der Mitte drehst dich stetig mit ihr.
Aber einmal geschieht es. daß ein Erdbeben durch all das geht. Die steinerne Mauer reißt entzwei, ein Spalt, der sich weiter und weiter öffnet. Die gemalten Sterne treten auseinander, und du schaust in etwas hinaus, das deinen Augen so fremd ist, daß sie sich weigern, es wahrzunehmen, eine Ferne, in die dein Blick stürzt, ein leuchtendes Dunkel, ein regloser Sturmwind, ein immerwährender Blitz. Das einzige, woran dein Schauen sich halten kann, ist eine menschliche Gestalt, schräg gegen den unhörbaren Orkan gelehnt, von Kopf bis Fuß in ein Tuch gehüllt, das zu flattern scheint und sich dennoch, wie auf einem Gemälde, nicht regt. Die verhüllte Gestalt steht ruhig da, aber sie steht auf nichts, denn unter ihren Füßen ist der Abgrund. Der Wind hat das Tuch ans Gesicht gepreßt, du ahnst dessen Form. Nun siehst du, wie der Mund hinter der Verhüllung sich bewegt, und du hörst eine tiefe, sanfte Stimme sagen:
«Komm heraus, kleiner Blutsbruder!» «Nein!» schreist du entsetzt, «geh fort! Wer bist du? Ich kenne dich nicht.»
«Du kannst mich nicht erkennen», antwortet dir der Verhüllte, «solange du nicht herauskommst. Also komm!»
«Ich will nicht!» rufst du. «Warum sollte ich das tun?»
«Es ist an der Zeit», sagt er. «Nein», erwiderst du, «nein, das hier ist meine Welt! Hier war ich immer, hier will ich bleiben. Geh weg!»
«Laß alles los!» sagt er, «tu es freiwillig, ehe du es mußt. Sonst wird es zu spät sein.»
«Ich habe Angst!» schreist du ihm zu.
«Laß auch die Angst los!» antwortet er.
«Ich kann nicht», erwiderst du.
«Laß auch dich selbst los!» sagt er.
Jetzt bist du sicher, daß es eine böse Stimme ist, die da zu dir spricht, und du bist entschlossen sie abzuweisen:
«Warum
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