Der Spiegel im Spiegel
mitbringen können. Aber schon ins Innere des Hauses zu kommen, ist ganz unmöglich für ihn. Es gibt zwar Türen genug, ja eigentlich besteht das Haus vom Erdboden bis zum Giebel aus nichts anderem als offenen Türen - doch sind sie alle viel zu klein für ihn. Höchstens ein Marder könnte dort hineinschlüpfen oder eben eine Ratte, ein Mensch jedenfalls nicht.
Ich bin in der Fremde groß geworden, denkt er, nun habe ich keine Ahnung mehr, wie man es anstellt, wieder klein zu werden.
Er betrachtet das Haus. Jedes der Türchen hat eine Konsole, ein kleines Brett oder eine Stange vor seiner Schwelle. Aber nichts regt sich. Es steht da wie ausgestorben.
Er sieht oder hört auch keine der Ratten, aber er weiß, daß sie dort drinnen sind, daß sie sich vor ihm verkrochen haben und sich still halten. Auch sie warten. Sie warten darauf, daß er wieder fortgeht. Sie wissen wahrscheinlich nicht, daß es mit ihnen aus ist, so oder so. Aber auch mit ihm ist es aus, es gibt keine Hoffnung.
Hat er denn keine Hilfe? Kein lebendiges Wesen, das ihm beisteht? Wird er nichts in sich finden, was er zu seiner Rettung erschaffen kann? Geschöpfe der Wildnis aus der Wildnis seines Herzens?
Da ist ein Wolf, grauschwarz, mächtig und ungestüm. Und ein zierlicher, verspielter Fuchs. Nein, denkt er, ich habe sie niemals gezähmt. Sie sind mir aus freien Stücken gefolgt. Eine seltsame Freundschaft, wahrhaftig, die sie irgendwann in der Wildnis mit mir geschlossen haben. Es dauerte lang, bis die beiden sich auch gegenseitig gelten ließen, aber schließlich haben sie Frieden untereinander gehalten. Sie haben mich überallhin begleitet, auch in den Städten, auch auf den Schiffen, auch auf dieser letzten Reise, die von allen die sinnloseste war. Sie haben mich niemals verlassen, sogar in dieser Nacht haben sie links und rechts von mir getreulich ausgeharrt, reglos wie Wappentiere.
Aber schon bereut er es, sie hervorgerufen zu haben. Was wird nun aus ihnen, denkt er, wenn' das Urteil an mir vollstreckt ist? Wird man sie in Käfige sperren? Wird man sie an Ketten legen? Oder wird man auch sie vernichten? Aber sie haben keinen Teil an meiner schlimmen Sache. Sie sind wild, aber unschuldig. Ich muß sie fortjagen, solange es noch Zeit ist. Also jetzt gleich.
Er legt seine Hände auf ihr Fell, das warm ist. Er beugt sich zu ihnen nieder und flüstert ihnen ins Ohr: Hört zu, meine beiden Tapferen, Schönen! Wir müssen uns trennen. Es ist besser so. Ihr müßt mich jetzt allein lassen. Ich kann euch nicht länger brauchen. Macht, daß ihr wegkommt! Verschwindet!
Aber der Fuchs und der Wolf rühren sich nicht von der Stelle, ganz als wären sie Statuen. Er muß etwas tun, was er noch niemals getan hat. Er tritt nach ihnen mit den Füßen, er schlägt sie mit Fäusten. Sie versuchen, seinen Hieben auszuweichen, aber sie laufen nicht fort.
Weg! keucht er und hat Mühe, ein Schluchzen zu unterdrücken, weg! Weg mit euch!
Sie klagen leise, bei jedem Tritt oder Schlag, der sie trifft, aber sie bleiben. Er beißt die Zähne zusammen und versucht es wieder und wieder. Besser, denkt er, sie sind für den Rest ihres Lebens ohne Vertrauen, aber frei und lebendig.
Endlich scheinen sie verstanden zu haben und hinken wimmernd davon. Aber sie fliehen nicht, sie laufen auf das Haus zu, ihr Nackenfell ist gesträubt. Er hört den Wolf wütend knurren und den Fuchs jilpen. Sie suchen nach einem Eingang, aber keines der Türchen ist groß genug, nicht einmal für den Fuchs. Wie rasend vor Wut kratzt der Wolf mit beiden Tatzen an einer der untersten Öffnungen. Er stößt mit aller Gewalt seinen Kopf hindurch, und nun sitzt er auch schon fest, kann weder vor noch zurück. Er stößt ein Geheul aus, einen langen, rauhen Schrei, und stemmt sich und reißt und drückt, seine Klauen wühlen den Boden auf, die Wand um die Öffnung gibt nach, Stücke bröckeln heraus, und er bekommt den Kopf frei. Schon ist der Fuchs lautlos und blitzgeschwind hineingeschlüpft.
In der plötzlichen Stille hört der heimgekehrte Niemandssohn sein eigenes Herz hämmern. Noch begreift er nicht, was seine Tiere da tun, doch eine törichte Hoffnung steigt in ihm auf, gegen die er nicht kämpfen kann.
Nein, denkt er, die Bedingung ist unerfüllbar. Selbst wenn es dem Fuchs gelingt, ein paar Ratten zu erjagen, was hilft das?
Der Wolf ist herbeigekommen, hat sich seitwärts von ihm niedergelegt und leckt seine blutigen Pfoten. Aus dem Haus ist ein ratloses Winseln zu hören. Für
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