Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Spiegel im Spiegel

Der Spiegel im Spiegel

Titel: Der Spiegel im Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Ende
Vom Netzwerk:
durcheinander schlüpften, es gab auch winzige Flämmchen, die allenthalben umherhüpften, und große stille Brände, die fast reglos an ihrem Ort verweilten. Manche waren blendend weiß, andere dunkelorange oder purpurrot. Auch gab es schwelende Flammen mit langen wehenden Qualmkapuzen, und da und dort sah man überaus ernste Kirchenlichter (wie man sie ja auf jedem bedeutenden Fest antrifft). Kurzum, es waren viele tausend Gäste, die zu der Hochzeit geladen waren, und ich war auch dabei.
    Wir alle nährten unser feuriges Dasein aus dem bunten Wachs des Schlosses, wir zehrten es auf, verbrauchten es ohne Sorge und kleinliche Rücksicht, indem wir das Fest feierten. Zuerst schmolz natürlich das riesige Dach aus grünem Ziegelwachs, troff durch die Sparren und dicken schwarzen Kerzensäulen des Speichers, lief in zähen Bächen durch die Gemächer und Säle des obersten Stockwerks. Dann schmolzen auch dort die marmorierten Böden und flössen in bunten Kaskaden, Stalaktiten und Stalagmiten, Grotten und Zotten bildend, die Emporen und breiten Treppen hinunter. Je mehr das Gebäude sich verflüssigte, desto wilder und ausgelassener tanzten die Gäste, sie gerieten in wahre Freudenräusche, wurden zu Feuersbrünsten der Begeisterung, wirbelten in trunkenen Flammenreigen der Lust. Bald faßten sie sich an den Händen und liefen blitzgeschwind in langen Ketten durch Hallen und Gänge, bald drehten sie sich in Strudeln, dann wieder wiegten sie sich und glitten in Paaren umher, ineinanderzüngelnd, zu feierlichen Tangos und Sarabanden.
    Zu Schneckengerinseln, Zapfen und bizarren Höhlen zerfließend, löste das Schloß sich nach und nach auf, verzehrt vom feurigen Festgelage. Und je mehr von der Substanz der wächsernen Wände und Architrave, Treppen und Säulenkolonaden schon in Licht und Feuer verwandelt war, desto weniger Flammen blieben noch übrig. Eine nach der anderen erlosch, trunken und satt und zu Ende gebrannt. Als schließlich der Morgen dämmerte, flackerten nur noch wenige Tänzer über einem See aus erstarrtem, vielfarbigem Wachs. Doch auch diese letzten Unermüdlichen sanken
    nach und nach in sich zusammen, glitten noch einmal im Kreis herum und hörten dann auf zu sein. Die leichte Morgenbrise wehte noch eine kleine weiße Rauchfahne über die weite glatte Fläche fort. Dann war die Hochzeit zu Ende.
    Ich war dabei. Und eines könnt ihr mir glauben: Es war bei Gott ein großartiges Fest!

ÜBER DIE WEITE GRAUE FLÄCHE DES HIMMELS GLITT EIN SCHLITTSCHUHLÄUFER DAHIN,
     
    kopfunter, mit wehendem Wollschal. Er konnte das, denn der Himmel war zugefroren.
    Mit tropfenden Nasen und offenen Mündern sah die Menschenmenge von der Erde aus zu, zeigte nach ihm hinauf und applaudierte bisweilen, wenn ihm ein besonders schwieriger (natürlich umgekehrter) Sprung gelungen war.
    Er lief in weiten Bögen und Schleifen, immer wieder die gleichen Figuren, bis sich die Spur seines Laufs in den Himmel gekratzt hatte. Jetzt zeigte es sich, daß es Buchstaben waren, eine dringende Botschaft vielleicht. Dann glitt er davon und verschwand fern hinter dem Horizont.
    Die Menschenmenge starrte zum Himmel hinauf, aber keiner kannte das Alphabet, keiner konnte die Schrift entziffern. Langsam verschwand die Spur, und der Himmel war wieder nur eine weite graue Fläche.
    Die Leute gingen nach Hause und hatten bald den ganzen Vorfall vergessen. Jeder hat schließlich seine eigenen Sorgen, und außerdem: Wer weiß, ob die Botschaft wirklich so wichtig war.

DIESER HERR BESTEHT NUR AUS BUCHSTABEN.
     
    Aus sehr vielen Buchstaben, versteht sich, aus einer astronomischen Zahl von Buchstaben, aber eben doch nur aus Buchstaben.
    Hier ist seine Freundin. Sie ist, wie man sieht, aus Fleisch und Bein. Und aus was für welchem! Es ist ein Vergnügen, es nur anzusehen - und nun gar erst, es zu berühren!
    Nun gehen die beiden zusammen auf den Jahrmarkt. Auf der Schiffsschaukel und im Riesenrad geht alles noch gut. Aber dann kommen sie zu einem Schießstand; einem etwas seltsamen Schießstand, zugegeben.
    Prüfe Dich selbst! steht groß oben darüber. Und weiter unten stehen die Regeln zu lesen. Es sind nur drei:
    1. Jeder Schuß ist garantiert ein Treffer.
    2. Für jeden Treffer gibt es einen Gratisschuß.
    3. Der erste Schuß ist frei.
    Der Herr, den Arm um die Hüfte seiner Freundin geschlungen, studiert aufmerksam die Inschrift. Er will rasch weitergehen, aber sie drängt ihn, von dem lohnenden Angebot Gebrauch zu machen. Sie will sehen, was er

Weitere Kostenlose Bücher