Der Spiegel im Spiegel
kann.
Aber der Herr will nicht.
«Warum denn nicht, Liebling? Was ist schon dabei?»
Dabei ist, daß man auf ein recht ungewöhnliches Ziel feuern muß, nämlich auf sich selbst, das heißt, auf das eigene Spiegelbild in einem metallenen Spiegel. Und der Herr aus Buchstaben fühlt sich durchaus nicht wirklich genug, um auf eine so gewagte Weise zwischen sich und seinem Spiegelbild zu unterscheiden.
«Entweder du schießt», sagt die Freundin schließlich wütend, «oder ich verlasse dich!»
Er schüttelt den Kopf. Da geht sie mit einem anderen fort, einem Metzgermeister, der sich auf Fleisch und Bein versteht.
Der Herr bleibt zurück und schaut ihr nach. Als sie seinen Blicken im Gedränge entschwunden ist, zerfällt er langsam zu einem kleinen Haufen winziger Minuskeln und Majuskeln, über den die Menge wegtrampelt.
Da hätte er eigentlich ebensogut schießen können, nicht wahr?
EIGENTLICH GING ES UM DIE SCHAFE,
doch auch wir Menschen mußten uns verborgen halten, denn jeder, der der strikten Anweisung, alle Schafe auszuliefern, nicht Folge leistete, setzte damit sein eigenes Leben aufs Spiel. Es genügte sogar schon zu wissen, wo sich Schafe befanden, und keine Anzeige zu erstatten.
Warum die Auslieferung der Tiere mit derartig rigorosen Maßnahmen erzwungen wurde, war uns allen nicht recht erklärlich, denn es schien durchaus nicht so, daß alle abgeholten Schafe sofort geschlachtet wurden. Ein solcher Bedarf an Fleisch, und nun gar an Schafsfleisch, bestand ja nicht. Höchstens die Hälfte der abgegebenen Tiere wurde sofort geschlachtet, was mit der anderen Hälfte geschah, ob sie zunächst in große Vorratsställe gesperrt oder außer Landes gebracht wurden, wußte niemand von uns. Und da wir die ganze Aktion nicht begriffen, in jenen ersten Tagen jedenfalls, entwickelten wir, was die Einzelheiten betraf, die abenteuerlichsten Vermutungen.
Jedenfalls waren wir alle sehr froh, für unsere Schafe diese leerstehende Halle gefunden zu haben. Hanna, meine Frau, war der Meinung, es müsse sich um eine ehemalige Großgarage oder etwas derartiges handeln. Ich dagegen versteifte mich darauf, daß dieses Gebäude nichts anderes sein könne als eine Markthalle. Im Grunde war beides durch nichts zu beweisen. Die niedrigen Verschlage, die rundum an den Wänden entlang liefen und in welche wir die Schafe getrieben hatten, sprachen weder für das eine noch für das andere.
Nichts, sagt man, sei in solchen Situationen schwerer als das Warten. Ich kann diese Erfahrung nicht bestätigen. Unsere Stimmung war eher aufgekratzt, beinahe albern. Man stand in größeren und kleineren Gruppen herum und plauderte angeregt. Manche spazierten auch, einzeln oder paarweise, in der Halle hin und her. Immer wieder war durch das allgemeine Stimmengewirr Gelächter zu hören. Ja, tatsächlich, wir lachten, wir fanden es erheiternd, daß die Metzger, die scharenweise in ihren blutigen Schürzen die ganze Stadt nach verborgen gehaltenen Schafen durchsuchten, sogar im Nachbarhaus aus und ein gingen und doch nicht auf die Idee kamen, in unserer Halle zu suchen. Manche von uns machten sogar spöttische Bemerkungen über den offenbar verkümmerten Geruchssinn der Burschen.
Schließlich waren wir unserer Sache so sicher, daß wir die Schafe sogar aus den Verschlagen herausließen. Die Tiere standen ratlos und ein wenig verstört zwischen uns herum und ließen sich betrachten. Ab und zu blökte eines. Das allerdings schien uns nun doch ein wenig bedenklich. Und als wir bald darauf beobachteten, wie aus eben dem Nachbarhaus, wo die Metzger ständig aus und ein gingen, eine kleine Herde von vielleicht zehn Schafen getrieben und auf ein wartendes Lastauto verfrachtet wurde, verschwand unsere gute Laune im Handumdrehen. Hastig trieben wir unsere Schützlinge wieder in die Verschlage und schlössen sorgfältig deren Türen. Draußen wendete das Lastauto umständlich und mit viel Getöse und entfernte sich endlich.
Es war nicht mehr als höchstens eine halbe Stunde vergangen, als dasselbe Fahrzeug zurückkam und direkt vor unserer Halle anhielt. Das Tor wurde aufgestoßen, und wir sahen, wie aus dem durch Planen verdeckten Teil des Lastwagens einige Metzger sprangen. Mit Hooo-hupp-Ge-schrei zogen sie gemeinsam riesenhafte, blutige Fleischstücke von der Ladefläche, so gewaltig, daß jeweils zwei bis drei Mann sie gemeinsam auf die Schultern nehmen mußten. Ich weiß nicht, von welchen Tieren diese Stücke stammen mochten, von Elefanten
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