Der Spiegel im Spiegel
tatsächlich!» hörte ich meine Mutter sagen. Also sah auch sie, was ich sah.
Und dann geschah, was ich am meisten gefürchtet hatte: Jene andere Hanna dort drüben drehte sich um und kam, als habe sie mich gesucht, eilig zu uns herüber. Als sie ihre eigene Doppelgängerin, deren Arm ich noch immer umkrallt hielt, neben mir erblickte, blieb sie stehen, streckte beide Hände aus und rief lachend: «Jaina, du?»
Die beiden schüttelten sich die Hände wie alte Freundinnen, die sich nach langer Zeit wiedertreffen, und es war, als blicke jede der beiden in einen Spiegel: zwei vollkommen gleiche weiße Flecke!
Ich wollte schreien: Nein, nein, das ist nicht Jaina! Das bist du selbst! - Statt dessen aber versagten mir die Knie, ich fiel auf alle viere nieder und blökte - blökte!
Die beiden Frauen schauten einander zögernd, halb schon zweifelnd, an. Ihre Hände trennten sich.
Die Metzger hatten ihren Gesang unterbrochen, und ich sah, wie sie, gebückt unter ihren riesigen Fleischlasten, mit gesenkten Stirnen zu uns herüberschielten.
MANN UND FRAU WOLLEN EINE AUSSTELLUNG BESUCHEN.
Sie haben sich beide fein gemacht, sind in gehobener Stimmung und voller Erwartung.
Vor dem Eingang eines großen fensterlosen Gebäudes, in welchem die Ausstellung gezeigt wird, liegt eine kleine parkartige Grünanlage, eine zertretene und von Hundekot übersäte Wiese, rechteckig von schmächtigen Bäumchen umgrenzt. In zwei Reihen, die auf den Eingang zu führen, stehen hier einige Zementwürfel, etwa vom Umfang kleiner Zeitungskioske. Jeder dieser Würfel hat auf der Vorderseite ein niedriges Schiebefensterchen, darüber steht: Eintrittskarten.
Die Frau setzt sich auf eine Anlagenbank, während der Mann zum nächstliegenden Würfel geht und durch das Schalterfenster schaut. Drinnen sitzt ein ganz ungewöhnlich dicker, kahlköpfiger Mensch in Hosenträgern und schläft mit offenem Mund. Der Mann klopft erst vorsichtig, dann immer heftiger an die Scheibe. Der Dicke erwacht, wischt sich den Speichel vom Kinn und öffnet das Fensterchen.
Der Mann muß sich tief bücken, um sich verständlich zu machen.
«Bitte für zwei Erwachsene. Wieviel macht das?»
Der Dicke blickt nachdenklich vor sich hin. Er nickt ein paarmal, schließt dann das Fensterchen und schläft wieder ein.
Der Mann wartet eine Weile, da der Dicke aber nicht wieder aufwacht, macht er seiner Frau ein Zeichen, sich zu gedulden, und geht zum nächsten Zementwürfel.
Hier sieht er im Inneren eine weibliche Person auf einem Stuhl sitzen und schlafen. Sie ist so ungeheuerlich dick, daß sie fast den ganzen kleinen Raum ausfüllt. Der Mann überlegt, wie sie wohl überhaupt durch die Tür hinein und herauskommen kann, da bemerkt er, daß der Zementwürfel keinerlei Tür hat. Das kleine Schiebefensterchen scheint die einzige Öffnung zu sein, die es gibt.
Er klopft. Nach einer Weile erwacht die weibliche Person und öffnet.
«Für zwei Erwachsene bitte», sagt er. «Wieviel macht das?» «Ja», erwidert sie träge. Er wartet.
Die weibliche Person schließt das Fensterchen und schläft wieder ein.
Der Mann ist nicht bereit, sich so schnell entmutigen zu lassen. Im nächsten Würfel sitzt ein ebenso dicker junger Mann, im darauffolgenden eine nicht weniger umfangreiche Alte im Unterrock, ein Haarnetz auf ihren spärlichen Strähnen. Beide erwachen erst nach längerem Klopfen, öffnen ihr Fensterchen, hören die Frage, nicken, schließen das Fensterchen und schlafen wieder ein.
Der Mann geht geduldig von Würfel zu Würfel. Außer der enormen Leibesfülle haben die Personen hinter den Schaltern keine Ähnlichkeit miteinander.
Hinter dem letzten Schalterfensterchen sitzt ein Kind, ein etwa sechs- oder achtjähriges Mädchen. Es ist im Verhältnis zu seinem Alter und seiner Größe fast noch dicker als alle anderen Würfelinsassen. Sein aufgedunsenes Gesicht ist von teigiger Blässe, im farblosen Haar trägt es eine rosa Schleife.
Der Mann ist gerade im Begriff, ebenso wie bei den vorigen Schaltern zu klopfen, als sein Blick auf einen Zettel fällt, der von innen gegen die Scheibe geklebt ist.
Sag nicht, was du willst! Frag mich, was mir fehlt!
Der Mann winkt seine Frau herbei, und beide studieren die Anweisung, in ungelenker Kinderschrift und mit zerlaufenem Tintenstift gemalt.
Die Frau seufzt.
«Leicht wird es einem heutzutage nicht gerade gemacht.»
«Nein, wahrhaftig nicht», sagt er, «vielleicht kommen deswegen so wenig Besucher. Seit wir hier sind, habe
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