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Der Spiegel im Spiegel

Der Spiegel im Spiegel

Titel: Der Spiegel im Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Ende
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Freudenhauses nicht in seiner Absicht läge.
    Das Mädchen, sehr klein und von kindhafter Zartheit, starrte ihn aus Neumondaugen an, schien indessen nicht zu verstehen, sondern verneigte sich tief und verharrte so, wobei sie mit schüchterner Gebärde weiterhin einladend auf die bequemen, schöngestickten Kissen ihres Wägelchens wies. Der Reisende, dem es schon leid tat, das Mädchen möglicherweise gekränkt zu haben, nahm seufzend auf dem Gefährt Platz und ließ sich ins Innere des Hauses schieben.
    Sie bewegten sich zunächst durch eine langgestreckte Halle, deren Wände, Böden und Decken mit verschiedenfarbig gemasertem, blankpoliertem Stein verkleidet waren. Die dazu verwendeten Stücke schienen sorgsam nach einem gemeinsamen Merkmal ausgewählt, denn allenthalben lud das feine Geäder die Vorstellungskraft des Betrachters ein, in die zufälligen Formen Gesichter und Fratzen hineinzusehen, Pflanzenornamente, Götter und Dämonen, Stelzentiere, brennende Tänzerinnen, Insektenreiter in langer Prozession, ganze Landschaften aus Leibern, tobende Meere voller Schiffe und Ungeheuer, Eisblumenpaläste und von Riesenmoos überwucherte Ruinenstädte. Aber die Aufmerksamkeit des Reisenden war noch immer durch jene tiefe Unlust gelähmt. Er sah noch nichts.
    In den nächsten Sälen indessen wachte sein in sich verschlossener Sinn nach und nach auf und begann zögernd und noch ungläubig, das Alphabet der Zeichen zu entziffern, die er selbst erschuf und doch auch wieder nicht erschuf. Die bisher flächenhaften Gebilde nahmen hier mehr und mehr räumlich-plastische Gestalt an. Bizarre Felsgebilde, Stalagtiten und Stalagmiten, Wurzeln, Baumstrünke, Lavagerinsel und Klumpen geschmolzenen Metalls standen und lagen hier umher, welche die absichtslosen Kräfte der Natur in immer vollkommenerer Weise zu den überraschendsten und zugleich überzeugendsten Gestalten geformt hatten. Es war schwer zu glauben, daß alle diese Dinge allein durch die willkürlichen Spiele des Zufalls entstanden sein sollten, dennoch war es keine andere Kraft, als die im Betrachtenden selbst wirksame, welche aus diesen beliebigen Formen die erstaunlichsten Kunstwerke schuf. Mehr und mehr verwischte sich dem Reisenden die Grenze zwischen seinem Inneren und dem Äußeren, zwischen dem, was er hinzuerschuf, und dem, was ihm tatsächlich vor Augen lag, bis er schließlich das eine vom anderen nicht mehr unterscheiden konnte und seinen eigenen Geist als ein Äußeres und die Gegenstände als sein Inneres erlebte. Unversehens war ihm, als sähe er sich selbst, seine eigene Gestalt, wie sie da auf dem Wägelchen kauerte, von innen und außen gleichzeitig, als sei auch sie nichts anderes als eine zufällig entstandene Form, in die sein schaffender Geist ein Wesenhaftes hineinsah. Doch eben dadurch war dieses Wesenhafte erst Wirklichkeit. Er erschrak darüber, doch war es ein lustvolles Erschrecken.
    Von diesem Augenblick an, da er endlich zu sehen begonnen hatte, hätte er nicht mehr zu sagen vermocht, ob das, was er schaute, überhaupt noch von dem abhing, was er vor sich hatte. Ihm schien vielmehr, als würden von Saal zu Saal die äußeren Gegenstände immer einfacher und allgemeiner, doch nun, da die geheime Kraft in ihm einmal ihre Schwingen entfaltet hatte, hob sie sich höher und höher und verwandelte den Anblick aller Dinge. Aus einem welken Blatt, einem weißen Ei, einer Vogelfeder traten ihm Welten um Welten entgegen. Und er war mit ihnen allen zutiefst verwandt, er war ihr Schöpfer und ihr Geschöpf zugleich. Er begriff, daß er nun, da er ganz aufgab, was er bisher Wirklichkeit genannt hatte, erst begann, sich der Wirklichkeit zu nähern.
    Als seine schweigsame Begleiterin ihn vor eine Wand brachte, die von dunklem, fast schwarzem Lapislazuliblau war, ergab sich ihm folgender Anblick: Durch zahllose, verschieden große Ausschnitte in dieser Wand schaute er räumlich in ebensoviele verschiedene Miniaturlandschaften von unbeschreiblicher Grazie und Zierlichkeit. Da gab es Berge, Seen und Wasserfälle wie blau-taftene Bänder, deren Stürzen und Schäumen er in Bewegung sah. Die winzigen Kaskaden fielen und rieselten über Felsklippen und zwar maß-stabsgetreu, also sehr langsam. Auch schien die Beleuchtung der Szenerien zu wechseln. Mondlicht, das durch ziehende Wolken verdunkelt und wieder erhellt wurde, Morgendämmerungen und violette Abende. Und wo das Sonnenlicht auf den Dunst zerstäubenden Wassers traf, zeigten sich Regenbogenspiele. Und

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