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Der Spiegel im Spiegel

Der Spiegel im Spiegel

Titel: Der Spiegel im Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Ende
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sanfte Weise in ihm etwas zurechtgerückt und ins Gleichgewicht gebracht.
    Die vierte Scheibe hing wiederum rechts, jedoch um einen vollen Tafeldurchmesser über den anderen. Auch war der Rand dieser Scheibe nicht rund, sondern ungleichmäßig gewellt und geschwungen, scheinbar regellos wie ein ausgewaschener Stein. Auf der Fläche selbst war nichts zu sehen, sie war leer.
    Der Reisende betrachtete sie dennoch mit der gleichen Aufmerksamkeit, die er den drei vorigen gewidmet hatte, doch war das einzige, was er nach geraumer Weile gewahrte, ein nicht näher zu beschreibendes ruhendes Wechseln, etwa so, als steige und falle Rauch in sich selber. Zugleich überkam ihn eine gewisse Bangigkeit, denn er fühlte, daß gerade jene neu in ihm erwachte Kraft von der Leere dieses Bildes eingesaugt wurde, daß sie wie in einen bodenlosen Abgrund wirbelte, ohne irgend etwas zu bewirken. Dennoch hielt er stand und wartete geduldig darauf, daß auch diese Scheibe zu ihm spräche, doch vergeblich. Schließlich griff er nach der Hand des Mädchens, als wolle er sich festhalten, und flüsterte: «Warum schweigt es?»
    «Es hat schon gesprochen», antwortete sie. «Warum habe ich es nicht gehört?» «Du hast es wohl gehört, Herr. Aber du wirst es erst in deiner Erinnerung finden.» «Ich wünsche aber, es jetzt zu hören!» «Herr», sagte das Mädchen sehr leise, «wie könnte das geschehen, solange du es wünschst? Nichts wünschen heißt, keine Unterschiede machen. Keine Unterschiede machen heißt, das Unsichtbare schauen und das Schweigende vernehmen. Warum also willst du mich unglücklich machen?» Da schämte sich der Reisende, ohne recht zu wissen, wofür.
    «Du weißt viel», sagte er, «woher?» Das Mädchen lächelte. «Weil ich beschämenderweise als die unwürdige Besitzerin dieser Sammlung von Unbesitzbarem gelte.»
    Der Reisende schwieg und betrachtete sie lange von der Seite. Sie ließ ihn gewähren oder bemerkte es nicht, da sie die Augen gesenkt hielt. Er bewunderte die ungewöhnlich vornehme Linie ihrer Stirn, ihrer Nase, ihrer Lippen. Erst jetzt ging ihm die rare Schönheit ihrer Züge auf. Nach einer Weile hielt sie sich den Ärmel vors Gesicht und bat, ihm nunmehr ihre eigentlichen Schätze zeigen zu dürfen, denn alles bisherige sei doch der Beachtung des Herrn kaum wert gewesen. Darauf erhob sich der Reisende von dem kleinen Gefährt, verneigte sich, wenn auch ein wenig ungelenk,
    ebenso tief vor ihr, wie sie es bisher vor ihm getan, und antwortete, wenn die überaus gütige Herrin der Zeichen und Wunder sich nicht zu gut sei, ihm, dem ungebildeten Barbaren, noch geheimere Kostbarkeiten zu zeigen, so wolle er dies Angebot mit Ehrerbietung und Dankbarkeit annehmen, nur müsse er darauf bestehen, nicht länger von ihr gefahren zu werden, sondern nun, da er wisse, welch vornehmer Dame Gast er sei, erachte er es bereits für die höchste, wenngleich unverdiente Auszeichnung, hinter oder gar neben ihr gehen zu dürfen.
    Das Mädchen bestritt dies und verneigte sich, der Reisende verneigte sich und beharrte darauf und behielt schließlich die Oberhand. Das kleine Gefährt blieb stehen; das Mädchen nahm den viel größeren Gast zart, nur mit den Fingerspitzen, bei der Hand, und so schritten sie schweigend nebeneinander den inneren Sälen zu, jungfräulichen Kontinenten und morgendämmernden Ozeanen entgegen.

AN DIESEM ABEND KONNTE DER ALTE SEEFAHRER DEN UNUNTERBROCHENEN WIND NICHT MEHR ERTRAGEN.
     
    Seine Augen waren vom Salz und dem unerhörten Glanz immer fernerer Horizonte halb erblindet. Doch das war ohne Bedeutung, da ohnedies Land niemals in Sicht kam. Der unaufhörliche Wind war es, der seinen Entschluß reifen ließ, den Mastkorb für immer zu verlassen.
    Er barg das Fernrohr aus schwerem Messing sorgsam zwischen Brust und Jacke und begann, den endlosen Mast abwärts zu klettern. Bisweilen hielt er inne, um wieder zu Atem zu kommen und seine klammen Finger warm zu reiben. Dabei spähte er prüfend in die Tiefe, ob sich das Deck schon zeige. Doch die riesenhaften Segel verhinderten hier jede Sicht. Er konnte weder unter sich noch über sich, noch nach irgendeiner anderen Seite anderes wahrnehmen als weißes, sich bauschendes Tuch, dazwischen Taue, Seile, Stricke, Schnüre und Fäden jeder Dicke oder auch Feinheit, in denen der Wind sang. Der Seefahrer konnte sich nicht entsinnen, ein solches Gewirr von Takelwerk auch bei seinem Aufstieg gesehen zu haben. Dabei wurde ihm bewußt, daß er sich überhaupt an

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