Der Spieler
überzeugt ist, einzig aus Ehrbarkeit verschachert zu sein – und das Ideal ist erreicht, weil das Opfer jubelt, wenn es zum Opfertisch geführt wird. Und was weiter? Weiter erweist es sich, daß auch der Älteste es nicht besser hat: Denn der hat ein Amalchen, mit dem er ein Herz und eine Seele ist, aber von Heiraten kann keine Rede sein, weil noch nicht genügend Gulden zusammengespart sind. So lange wird tugendhaft, aufrichtigen Herzens gewartet und ebenfalls lächelnd zum Opfertisch geschritten. Inzwischen sind Amalchens Wangen eingefallen, und sie wird immer dürrer. Endlich, nach etwa zwanzig Jahren, hat sich das Kapital vervielfacht; die Gulden sind redlich und tugendhaft zusammengespart. Der ›Fater‹ gibt seinem vierzigjährigen Ältesten und dessen fünfunddreißigjährigem Amalchen (mit welker Brust und roter Nase) seinen Segen … Dabei weint er, predigt Moral und stirbt. Sein Ältester verwandelt sich auch in einen redlichen ›Fater‹, und die Geschichte beginnt wieder von neuem. Nach fünfzig oder siebzig Jahren verfügt der Enkel des ersten ›Faters‹ tatsächlich über ein bedeutendes Kapital, das er seinem Sohn vermacht, dieser dem seinen, dieser dem seinen, und nach fünf oder sechs Generationen ist ein Baron Rothschild oder ein Hoppe & Co. oder weiß der Teufel wer alles parat. Bitte schön, ist das nicht ein majestätisches Schauspiel: hundert oder zweihundert Jahre Mühsal von Geschlecht zu Geschlecht, Geduld, Verstand, Redlichkeit, Charakter, Standhaftigkeit, Kalkül und der Storch auf dem Dach! Was will man mehr, es ist nichts darüber hinaus, und von diesem Gipfel aus beginnt man über die ganze Welt zu Gericht zu sitzen und mit den Schuldigen, das heißt mit allen, die um ein Haarbreit sich von ihnen unterscheiden, kurzen Prozeß zu machen. Mir geht es um folgendes: Ich will lieber auf russische Art über die Stränge schlagen oder mich am Roulette bereichern. Ich will nicht fünf Generationen später Hoppe & Co. sein. Das Geld brauche ich für mich selbst, und ich halte mich keineswegs für eine obligate Zugabe zu dem Kapital. Ich weiß, daß ich fürchterlich verallgemeinere, meinetwegen, aber das ist eben meine Überzeugung.«
»Ich weiß nicht, ob das alles richtig ist, was Sie geredet haben«, bemerkte der General nachdenklich, »aber ich bin sicher, daß Sie unerträglich wichtig tun, sobald man Ihnen erlaubt …«
Nach seiner Gewohnheit führte er den Satz nicht zu Ende. Wenn unser General sich anschickte, etwas zu erörtern, das auch nur ein bißchen über das übliche, alltägliche Gespräch hinausging, führte er den Satz nie zu Ende. Der Franzose hatte gelassen zugehört, mit ein wenig starrem Blick. Er verstand fast nichts von dem, was ich gesagt hatte. Polina sah irgendwie hochmütig und gleichgültig drein. Es schien, sie hätte nicht nur mich, sondern diesmal überhaupt alles bei Tisch Geredete einfach überhört.
Kapitel V
Sie war außerordentlich nachdenklich, verlangte aber sogleich nach Tisch, daß ich sie zum Spaziergang begleitete. Wir nahmen die Kinder mit und begaben uns in den Park, zur Fontäne.
Da ich mich in einem besonders erregten Zustand befand, platzte ich töricht und plump mit der Frage heraus, weshalb denn unser Marquis des Grieux, der kleine Franzose, sie jetzt, wenn sie ausgehe, nicht nur nicht begleite, sondern sogar tagelang kein Wort an sie richte?
»Weil er gemein ist«, war ihre seltsame Antwort. Ich hatte von ihr noch nie eine solche Äußerung über des Grieux gehört und verstummte, weil ich mich scheute, diese Gereiztheit zu enträtseln.
»Ist Ihnen aufgefallen, daß er und der General heute nicht gut aufeinander zu sprechen waren?«
»Sie wollen wissen, worum es geht?« antwortete sie trocken und gereizt. »Sie wissen doch, daß der General bei ihm über die Ohren verschuldet ist, das ganze Landgut gehört ihm, und wenn die Babuschka nicht stirbt, wird der Franzose unverzüglich den Besitz all dessen antreten, was ihm verpfändet ist.«
»Aha, dann stimmt es, daß alles verpfändet ist? Ich habe davon gehört, aber nicht gewußt, daß es um das Ganze geht.«
»Was denn sonst?«
»Dann würde es ›adieu, Mademoiselle Blanche‹ heißen«, bemerkte ich. »Dann wird sie auch nicht Frau Generalin! Wissen Sie: mir scheint, der General ist dermaßen verliebt, daß er sich möglicherweise erschießen wird, wenn Mademoiselle Blanche ihn verläßt. In seinem Alter ist es gefährlich, sich so zu verlieben.«
»Mir scheint auch, daß
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