Der Spieler
drängen, um sich Platz zu verschaffen. Dies gilt bei solchen Damen als besonders schick. Sie sind Ihnen natürlich aufgefallen?«
»Oh, ja.«
»Keiner Rede wert. Zum Ärger des gesitteten Publikums sind sie hier nicht wegzudenken, wenigstens jene nicht, die Tag für Tag am Spieltisch Tausend-Francs-Noten wechseln. Allerdings werden sie gebeten, sobald sie keine Banknoten mehr wechseln, sich umgehend zu entfernen. Mademoiselle Selma fuhr eine Weile fort, Scheine zu wechseln, aber im Spiel hatte sie immer weniger Glück. Es ist bemerkenswert, daß solche Damen im Spiel sehr oft gewinnen; ihre Selbstbeherrschung ist einfach erstaunlich. Übrigens ist meine Geschichte zu Ende. Eines Tages verschwand, genauso wie vorher der Fürst, auch der Graf. Mademoiselle Selma erschien abends im Spielsaal alleine; diesmal fand sich niemand, der ihr den Arm anbot. Zwei Tage später hatte sie restlos alles verloren. Nachdem sie den letzten Louisdor gesetzt und verloren hatte, sah sie sich nach allen Seiten um und entdeckte neben sich den Baron Wurmerhelm, der sie sehr aufmerksam und mit entschiedener Mißbilligung betrachtete. Aber Mademoiselle Selma übersah die Mißbilligung, wandte sich an den Baron und bat ihn mit einem gewissen Lächeln, für sie zehn Louisdor auf Rot zu setzen. Dies hatte zur Folge, daß sie auf Betreiben der Baronin im Laufe des Abends aufgefordert wurde, sich nicht mehr im Kurhaus blicken zu lassen. Sollten Sie sich wundern, daß ich über solche läppischen und absolut unschicklichen Details unterrichtet bin, so müssen Sie wissen, daß ich sie vertraulich von Mister Feeder, einem meiner Verwandten, gehört habe, der am selben Abend Mademoiselle Selma in seiner Kutsche von Roulettenburg nach Spa gebracht hatte. Sie verstehen: Mademoiselle Blanche möchte Frau Generalin werden, wahrscheinlich um sich künftig solche Aufforderungen von der Kurpolizei wie die vor zwei Jahren zu ersparen. Jetzt spielt sie nicht mehr; wohl deshalb, weil sie nach gewissen Anzeichen über ein Kapital verfügt und den hiesigen Spielern gegen Prozente Geld leiht. Das ist wesentlich günstiger. Ich vermute sogar, daß auch der unglückliche General bei ihr verschuldet ist, vielleicht auch des Grieux. Vielleicht ist des Grieux ihr Kompagnon. Sie werden einsehen, daß sie wenigstens bis zur Hochzeit die Aufmerksamkeit der Baronin und des Barons unter keinen Umständen auf sich ziehen möchte. Mit einem Wort, in ihrer Lage kann sie am allerwenigsten einen Skandal gebrauchen. Sie sind mit dem Haus des Generals unmittelbar verbunden, und Ihr Verhalten könnte einen Skandal nach sich ziehen, da sie täglich sich am Arm des Generals oder in Begleitung Miss Polinas zeigt. Begreifen Sie jetzt?«
»Nein, ich begreife nichts!« rief ich aus und schlug mit solcher Kraft auf den Tisch, daß der Garçon erschrocken herbeieilte.
»Sagen Sie, Mister Astley«, wiederholte ich, »wenn Sie diese ganze Geschichte bereits kannten und folglich ganz genau wissen, was es mit dieser Mademoiselle Blanche de Cominges auf sich hat – wieso haben Sie nicht wenigstens mich oder den General persönlich oder schließlich und vor allem Miss Polina aufgeklärt, gewarnt, Miss Polina, die sich im Kurhaus, öffentlich, mit Mademoiselle Blanche Arm in Arm gezeigt hat? Wie ist das möglich?«
»Wozu hätte ich Sie warnen sollen, Sie hätten doch nichts erreicht«, antwortete Mister Astley seelenruhig. »Und übrigens, wovor hätte ich Sie warnen sollen? Es ist durchaus denkbar, daß der General über Mademoiselle Blanche viel mehr weiß als ich und trotzdem mit ihr und Miss Polina promeniert. Der General ist ein unglücklicher Mensch. Ich habe gestern gesehen, wie Mademoiselle Blanche auf einem prächtigen Pferd in Begleitung von des Grieux und diesem kleinen russischen Fürsten ausritt und der General auf einem Fuchs ihnen nachsprengte. Erst vormittags hatte er geklagt, er habe Schmerzen in den Beinen, aber seine Haltung zu Pferde war einwandfrei. Gerade bei diesem Anblick kam mir plötzlich der Gedanke, daß er hoffnungslos verloren ist. Außerdem geht mich das alles nichts an, und ich habe erst seit kurzem die Ehre, Miss Polina zu kennen. Übrigens«, (Mister Astley schien sich plötzlich zu besinnen), »habe ich Ihnen bereits gesagt, daß ich Ihnen das Recht auf gewisse Fragen nicht zubillige, ungeachtet dessen, daß ich Sie aufrichtig liebe …«
»Genug«, sagte ich, mich erhebend, »jetzt ist mir sonnenklar, daß auch Miss Polina alles über Mademoiselle
Weitere Kostenlose Bücher