Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Spieler

Der Spieler

Titel: Der Spieler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
Vom Netzwerk:
schien Mister Astley außerordentlich angenehm zu sein.
    Die Großmutter musterte Polina mit einem aufmerksamen und zufriedenen Blick vom Scheitel bis zur Sohle.
    »Ich hätte dich, Praskowja, ins Herz geschlossen«, sagte sie plötzlich, »du bist ein prachtvolles Mädchen, besser als die alle, aber dein Charakter – o je! Aber ich hab’ ja auch einen Charakter; dreh dich mal um; trägst du eigentlich jetzt einen falschen Zopf?«
    »Nein, Großmutter, es ist mein eigener.«
    »Das ist gut, ich kann die heutige dumme Mode nicht ausstehen. Schön bist du über die Maßen, ich würde mich in dich verlieben, wenn ich ein Kavalier wäre. Warum heiratest du nicht? Jetzt wird es Zeit für mich. Und ich möchte auch an die frische Luft, immer im Waggon, immer im Waggon … Was ist mit dir, ärgerst du dich immer noch?« wandte sie sich an den General.
    »Aber ich bitte, liebe Tante, nicht doch!« beteuerte der General erfreut, »ich verstehe doch, in Ihrem Alter …«
    » Cette vieille est tombée en enfance «, flüsterte mir des Grieux zu.
    »Ich will mir hier alles genau ansehen. Kannst du mir Alexej Iwanowitsch abtreten?« fragte die Großmutter den General.
    »Oh, ganz wie Sie wünschen, aber ich möchte auch selbst … und Polina, und Monsieur des Grieux … wir alle, uns allen wird es ein Vergnügen sein, Sie zu begleiten.«
    » Mais, madame, cela sera un plaisir  …«, versicherte des Grieux mit einem bezaubernden Lächeln.
    »So, so, un plaisir . Dich finde ich komisch, mein Guter. Geld aber wirst du übrigens von mir keines bekommen«, fuhr sie plötzlich mit einem Blick auf den General fort. »Also, jetzt in mein Appartement: Es muß besichtigt werden, und anschließend machen wir uns auf den Weg zu allen Sehenswürdigkeiten. Also, los.«
    Babuschka wurde wieder hochgehoben, und die ganze Schar machte sich auf den Weg, immer hinter dem Rollstuhl die Treppe hinunter. Der General ging, wie von einem Keulenschlag auf den Kopf betäubt. Des Grieux schien zu überlegen. Mademoiselle Blanche wollte schon zurückbleiben, besann sich aber aus irgendeinem Grunde und folgte den anderen. Der Fürst schloß sich ihr sofort an, und so blieben oben, im Appartement des Generals, nur der Deutsche und Madame la veuve Cominges zurück.

Kapitel X
    In den Bädern, und – wie es scheint – in ganz Europa, lassen sich Hoteliers und Oberkellner bei der Zuteilung der Zimmer weniger von den Wünschen und Forderungen der Gäste als vielmehr von ihrem eigenen, persönlichen Dafürhalten leiten; und man muß bemerken, sie irren sich selten. Aber Babuschka hatte man aus einem unbekannten Grunde ein so großartiges Appartement zugedacht, daß es des Guten zuviel war: vier luxuriös eingerichtete Zimmer, Bad, Unterkünfte für die Dienerschaft, Raum für die Zofe und so weiter und so weiter. Es war die Wahrheit, daß in diesem Appartement eine Woche vorher eine grande-duchesse residiert hatte, was natürlich den neuen Gästen sogleich unterbreitet wurde, um den Preis für das Appartement zu steigern. Babuschka wurde durch alle Zimmer getragen, das heißt, gerollt, und nahm deren Einrichtung aufmerksam und streng in Augenschein. Der Oberkellner, ein schon älterer, glatzköpfiger Mann, begleitete sie ehrerbietig bei dieser ersten Besichtigung.
    Ich weiß nicht, für wen sie alle Babuschka gehalten haben, aber jedenfalls für eine außerordentlich vornehme und, vor allem, wie es schien, märchenhaft reiche Person. Ins Gästebuch trug man sofort ein: » Madame la générale princesse de Tarassévitcheva «, wiewohl die Babuschka niemals Fürstin gewesen war. Die eigene Dienerschaft, das besondere Abteil im Waggon, die Unmenge unnötiger kleiner und großer Koffer und sogar Truhen, die mit Babuschka eingetroffen waren, trugen von Anfang an zu ihrem Prestige bei; der Rollstuhl, der scharfe Ton Babuschkas und ihre Stimme, ihre exzentrischen Fragen, die sie mit einem ungenierten und nicht den leisesten Einwand duldenden Ausdruck stellte, kurz, ihre gesamte Erscheinung – direkt, scharf, gebieterisch – machte die ihr allgemein entgegengebrachte Ehrfurcht vollkommen. Bei der Besichtigung ließ die Großmutter plötzlich den Rollstuhl anhalten, deutete dann auf irgendein Stück der Einrichtung und wandte sich mit überraschenden Fragen an den ergeben lächelnden, aber inzwischen schon eingeschüchterten Oberkellner. Babuschka bediente sich bei ihren Fragen der französischen Sprache, die sie übrigens nur ziemlich mangelhaft

Weitere Kostenlose Bücher