Der Spieler
ging, flüsterte mir zu, daß er von diesem Vormittag manches erwarte. Potapytsch und Marfa gingen hinter dem Rollstuhl – Potapytsch im Frack und mit weißer Binde, aber mit einer Schirmmütze auf dem Kopf, und Marfa – ein vierzigjähriges rotbackiges, aber bereits ergrauendes Mädchen – mit Häubchen, Kattunkleid und knarrenden Ziegenlederstiefeln. Babuschka wandte sich sehr oft nach ihnen um und redete mit ihnen. Des Grieux und der General waren ein wenig zurückgeblieben und unterhielten sich eifrig. Der General war sehr niedergeschlagen. Des Grieux redete mit großer Entschlossenheit. Vielleicht sprach er dem General Mut zu; er beriet ihn, das war offensichtlich. Aber Babuschka hatte ja vorhin den fatalen Satz ausgesprochen: »Geld wirst du von mir keines bekommen.« Möglicherweise hatte des Grieux diese Ankündigung nicht für die Wahrheit gehalten, aber der General kannte seine liebe Tante. Mir war aufgefallen, daß des Grieux und Mademoiselle Blanche einander immer noch zuzwinkerten. Den Fürsten und den deutschen Reisenden sah ich ganz am Ende der Allee; sie waren zurückgeblieben und hatten einen eigenen Weg eingeschlagen.
Das Kurhaus betraten wir im Triumph. Der Portier und die Lakaien legten dieselbe Ehrerbietung an den Tag wie das Hotelpersonal. Ihre Blicke verrieten jedoch eine gewisse Neugier. Zuerst befahl Babuschka, sie durch sämtliche Räume zu rollen; einige lobte sie, andere betrachtete sie völlig gleichgültig; unermüdlich erkundigte sie sich nach allem und jedem. Schließlich erreichten wir auch die Spielsäle. Der Diener, der vor der geschlossenen Tür Posten stand, riß, offenbar verblüfft, plötzlich beide Türen auf.
Das Erscheinen Babuschkas im Roulettesaal machte einen tiefen Eindruck auf das Publikum. An den Roulettetischen und am anderen Ende des Saals, wo sich der Tisch für trente et quarante befand, drängten sich in mehreren Reihen an die anderthalb- bis zweihundert Spieler. Jene, die das Glück haben, bis zum Tisch durchzudringen, bleiben üblicherweise unverrückbar stehen und geben ihren Platz erst dann frei, wenn sie alles verspielt haben; bloßes Zuschauen und unbeteiligtes Besetzen eines Spielerplatzes ist nicht gestattet. Wiewohl der Tisch ringsum von Stühlen umgeben ist, nehmen nur wenige Spieler darauf Platz, zumal bei dem großen Publikumsandrang, weil man stehend weniger Raum beansprucht, folglich schneller an einen Platz kommt und außerdem bequemer seinen Einsatz machen kann.
Die zweite und die dritte Reihe drängen sich hinter der ersten nach, beobachten und warten auf eine günstige Gelegenheit; aber vor lauter Ungeduld streckt mancher den Arm durch die erste Reihe hindurch, um seinen Einsatz zu machen. Sogar aus der dritten Reihe gelingt es einzelnen geschickt, ihr Geld nach vorne zu schieben; deshalb dauert es kaum zehn und sogar nicht einmal fünf Minuten, bis es an irgendeiner Stelle des Tisches wegen eines unklaren Einsatzes zu einer »Geschichte« kommt. Die Kurhauspolizei funktioniert übrigens recht gut. Die Enge ist natürlich nicht zu vermeiden; im Gegenteil, man freut sich über den Andrang des Publikums, denn das bedeutet Profit; aber die acht Croupiers rings um den Tisch müssen die Einsätze beobachten, abrechnen und bei entstehenden Streitigkeiten schlichten. Im äußersten Fall ruft man die Polizei, und dann ist die Sache in Minutenschnelle entschieden. Die Polizisten befinden sich an Ort und Stelle, im Saal, in zivil, unter den Zuschauern, so daß sie nicht auffallen. Sie haben ganz besonders die Taschendiebe und Gauner im Auge, die das Roulette bevorzugen, da dort die Ausübung ihres Gewerbes besonders verlockend ist. In der Tat, überall auf der Welt gilt es ja, sich entweder aus fremden Taschen zu bedienen oder einen Einbruch zu begehen, was im Falle des Mißlingens ein recht übles Ende nehmen kann. Hier aber braucht man nur einfach an den Casinotisch zu treten, sich hinzusetzen und plötzlich ganz offen und selbstverständlich nach einem fremden Gewinn zu greifen und ihn in die eigene Tasche zu befördern; kommt es zum Streit, behauptet der Gauner lauthals und felsenfest, daß es sich um seinen eigenen Einsatz handele. Wenn der Dieb geschickt ist und die Zeugen schwanken, gelingt es ihm sehr oft, das Geld zu behalten – freilich nur, wenn die Summe nicht sehr bedeutend ist. Ist sie bedeutend, wird sie in der Regel von den Croupiers oder von einem der anwesenden Spieler von Anfang an besonders beachtet. Ist aber die Summe nicht
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