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Der Spieler

Der Spieler

Titel: Der Spieler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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fast schmerzlich gereizt hatte, mit tiefster Verachtung und Gleichgültigkeit zu überraschen. Dabei weiß sie doch, daß ich ohne sie nicht leben kann. Jetzt, zum Beispiel, sind drei Tage nach der Geschichte mit dem Baron vergangen, und ich kann unsere
Entfremdung
schon nicht mehr ertragen. Als ich ihr vorhin am Kurhaus begegnete, klopfte mein Herz so heftig, daß ich erbleichte. Aber sie wird es doch ohne mich nicht aushalten! Sie braucht mich auch und – gewiß, gewiß nicht nur als den Hofnarren Balakirew ?
    Sie hat ein Geheimnis – das ist klar! Ihr Gespräch mit Babuschka war für mich ein schmerzlicher Stich ins Herz. Ich hatte sie bereits tausend Mal aufgefordert, offen und aufrichtig mir gegenüber zu sein, und sie wußte, daß ich tatsächlich bereit bin, meinen Kopf für sie hinzuhalten. Aber sie fertigte mich fast jedes Mal verächtlich ab und forderte von mir statt meines Lebens, das ich bereit war, ihr zu opfern, ähnliche Streiche wie damals den mit dem Baron! Ist das nicht empörend? Liegt die ganze Welt für sie in diesem Franzosen? Und Mister Astley? Aber hier wird die Sache entschieden unbegreiflich, indessen – mein Gott, wie quäle ich mich!
    Sobald ich in meinem Zimmer war, griff ich voller Wut zur Feder und kritzelte an sie folgendes:
    Polina Alexandrowna, ich sehe deutlich, daß die Katastrophe, die natürlich auch Sie betreffen wird, eingetreten ist. Ich wiederhole zum letzten Mal: Brauchen Sie meinen Kopf, ja oder nein? Wenn ich Ihnen, wie auch immer,
irgendwie
nützlich sein kann – verfügen Sie über mich, einstweilen bleibe ich in meinem Zimmer, wenigstens meistens, und werde nicht verreisen. Wenn Sie mich brauchen, schreiben Sie mir oder rufen Sie mich.
    Ich versiegelte dieses Briefchen und übergab es dem Hoteldiener mit der Weisung, es persönlich auszuhändigen. Mit einer Antwort rechnete ich nicht, aber nach kaum drei Minuten kam der Diener zurück und richtete aus: »Das Fräulein lassen grüßen.«
    Es war bereits nach sechs, als ich zum General gerufen wurde.
    Er war in seinem Kabinett und schien zum Ausgehen bereit zu sein. Hut und Stock lagen auf dem Diwan. Ich hatte den Eindruck, daß er, als ich das Zimmer betrat, mitten im Raume stand, breitbeinig, mit gesenktem Kopf, und laut vor sich hin redete. Aber kaum hatte er mich bemerkt, als er fast schreiend auf mich zustürzte, so daß ich unwillkürlich zurückwich und schon die Flucht ergreifen wollte; aber er packte mich an beiden Händen und zog mich zum Diwan, ließ sich selbst auf den Diwan fallen, drückte mich ohne Federlesens in den gegenüberstehenden Sessel und sprach, immer noch mich an beiden Händen haltend, mit zitternden Lippen und plötzlich auf seinen Wimpern glitzernden Tränen, mit flehentlicher Stimme:
    »Alexej Iwanowitsch, retten Sie, retten Sie, Erbarmen!«
    Ich konnte lange gar nichts verstehen; er redete, redete, redete und wiederholte immerfort: »Erbarmen, Erbarmen!« Endlich erriet ich, daß er von mir so etwas wie einen Ratschlag erwartete; oder vielmehr, er hatte sich in seiner Verlassenheit, in seinem Kummer und in seiner Erregung an mich erinnert und mich rufen lassen, nur um zu reden, reden, reden.
    Er war geistesgestört, jedenfalls in höchstem Maße verwirrt. Er faltete die Hände auf der Brust und wäre bereit gewesen, mir zu Füßen zu fallen, damit (was sollte man davon halten?), damit ich augenblicklich Mademoiselle Blanche aufsuche und sie anflehe, ihr ins Gewissen rede, sich seiner wieder anzunehmen und ihn zu heiraten.
    »Ich bitte Sie, General«, rief ich, »aber Mademoiselle Blanche hat mich möglicherweise bis jetzt gar nicht wahrgenommen! Was kann ich tun?«
    Aber zu widersprechen war einfach unmöglich: Er verstand einfach nicht, was man ihm sagte. Er redete auch von der Babuschka, aber völlig zusammenhanglos; er war immer noch fixiert auf den Gedanken an die Polizei.
    »Bei uns, bei uns«, begann er in einem plötzlichen Zornesausbruch, »kurz gesagt, bei uns, in einem wohlgeordneten Staate, mit einer Obrigkeit, würde man solche alten Weiber unter Kuratel stellen! Jawohl, mein Herr, jawohl!« fuhr er in einem plötzlich belehrenden Ton fort, sprang dabei auf und marschierte im Zimmer auf und ab. »Sie haben davon keine Kenntnis genommen, mein Herr.« Dabei richtete er sich an einen imaginären Gesprächspartner in der Ecke. »Aber Sie werden davon Kenntnis nehmen müssen … jawohl … bei uns springt man mit solchen alten Weibern ganz anders um, ganz anders, jawohl,

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