Der Spion, der aus der Kälte kam
und ein Schauer lief ihm über die Haut, als er nun bemerkte, dass es eine Frau war. Es war verständlich, dass er dies nicht schon früher bemerkt hatte, denn sie war um die Fünfzig, mit kleinen Augen, und ihr dunkles Haar war männlich kurz geschnitten, während ihre Kleidung aus jener Art schwarzem Waffenrock bestand, den manche Sowjetfrauen bevorzugen. Sie ließ einen scharfen Blick durch den Raum schweifen, bedeutete dann einem Posten durch Kopfnicken, die Tür zu schließen, und wandte sich sofort, ohne weiteres Zeremoniell, an die Versammelten:
»Sie alle wissen, warum wir hier sind. Das Verfahren ist geheim, beachten Sie das. Dies ist ein Gericht, das vom Präsidium einberufen wurde, und allein dem Präsidium sind wir verantwortlich. Wir werden die Beweise würdigen, wie wir es für richtig halten.« Sie zeigte mit einer Routinebewegung ihrer Hand auf Fiedler: »Genosse Fiedler, es ist am besten, wenn Sie beginnen.«
Fiedler stand auf. Während er sich kurz zum Tisch hin verbeugte, zog er aus seiner Aktentasche einen Stoß Papiere, der von einem Stück schwarzer Schnur zusammengehalten wurde.
Er sprach ruhig und mühelos, mit einer Zurückhaltung, wie Leamas sie an ihm vorher noch nicht wahrgenommen hatte. Leamas empfand es als eine große Leistung, wie sich Fiedler der Rolle eines Mannes anpaßte, der mit Bedauern einen Vorgesetzten hängt.
»Falls Sie nicht bereits darüber informiert sind, möchte ich Sie zunächst darauf hinweisen«, begann Fiedler, »dass ich an demselben Tag, an dem das Präsidium meinen Bericht über die Umtriebe des Genossen Mundt erhielt, zusammen mit dem Informanten Leamas verhaftet worden bin. Wir wurden beide eingesperrt und - nun, sagen wir - aufgefordert, und zwar unter äußerstem Druck, ein Geständnis darüber abzulegen, dass die in meinem Bericht erhobene schreckliche Anklage nichts anderes als ein faschistisches Komplott gegen einen treuen Genossen sei.
Sie können aus dem vorliegenden Bericht ersehen, auf welche Weise wir auf Leamas aufmerksam geworden sind: Wir selbst haben ihn ausgewählt, dazu überredet, Verrat zu begehen, und ihn schließlich ins Demokratische Deutschland gebracht. Nichts könnte klarer die Unvoreingenommenheit von Leamas demonstrieren, als dass er es noch immer bestreitet, dass Mundt ein britischer Agent war. Die Gründe, die er für die Ablehnung angibt, werde ich noch erläutern. Es ist deshalb grotesk, anzunehmen, dass Leamas ein Werkzeug in fremder Hand sei: die Initiative ging von uns aus, und die fragmentarische, aber wesentliche Aussage von Leamas liefert nur den endgültigen Beweis in einer ganzen Kette von Verdachtsmomenten, die sich innerhalb der letzten Jahre ergeben haben.
Sie haben die Niederschrift dieses Falles vor sich. Ich brauche Ihnen deshalb nur noch Tatsachen zu erläutern, die Ihnen bereits bekannt sind.
Die Anklage gegen den Genossen Mundt lautet auf Spionage für eine imperialistische Macht. Ich hätte die Anklage anders vorbringen können - dass er Informationen an den britischen Geheimdienst lieferte, dass er seine Dienststelle zum ahnungslosen Lakaien eines bourgeoisen Staates machte, dass er mit voller Überlegung revanchistische und parteifeindliche Gruppen deckte und als Entgelt Beträge in ausländischer Währung annahm. Diese anderen Beschuldigungen sind alle in dem ersten Anklagepunkt zusammengefaßt: dass Hans-Dieter Mundt nämlich der Agent einer imperialistischen Macht sei. Die Strafe für dieses Verbrechen ist der Tod. Es gibt nach unserem Strafgesetz kein schwereres Verbrechen, keines, das unseren Staat mehr gefährdet oder unseren Parteiorganisationen größere Wachsamkeit abverlangt …«
Hier legte er die Papiere nieder.
»Genosse Mundt ist zweiundvierzig Jahre alt. Er ist stellvertretender Leiter des Amtes für Staatssicherheit. Er ist unverheiratet. Er ist stets als Mann von außerordentlichen Fähigkeiten angesehen worden, der unermüdlich den Parteiinteressen gedient und sie ohne Rücksichtnahme beschützt hat.
Lassen Sie mich einige Einzelheiten aus seiner Laufbahn berichten. Er trat mit achtundzwanzig Jahren in den Dienst dieser Behörde ein und erhielt die übliche Ausbildung. Nach Ablauf der Probezeit erfüllte er Sonderaufträge in skandinavischen Ländern - insbesondere in Norwegen, Schweden und Finnland -, wo es ihm gelang, durch Errichtung eines Aufklärungsnetzes den Kampf gegen die faschistischen Agitatoren in das Feindeslager vorzutragen. Er führte seinen Auftrag gut aus, und es
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