Der Spion, der aus der Kälte kam
aufrufen wird.«
Leamas zuckte die Achseln.
»Das ist Ihre Sache«, sagte er. Dann war wieder Stille.
Schließlich sagte Fiedler nachdenklich: »Ich würde ja gar nichts sagen, wenn er mich nur aus Haß oder Eifersucht gegen meine Person gequält hätte, verstehen Sie? Dieser endlose Schmerz, während man sich die ganze Zeit sagt: Entweder werde ich ohnmächtig oder ich kann den Schmerz ertragen, dafür wird die Natur schon sorgen. Und der Schmerz wächst; man hat dasselbe Gefühl wie ein Geiger, der die E-Saite hinaufklettert: Man meint, höher könne es nun einfach nicht mehr gehen, aber es geht immer höher - so ist es mit dem Schmerz. Er wächst und wächst, und die Natur tut nichts, als einen von Ton zu Ton weiterzuführen, als sei man ein taubes Kind, dem das Hören beigebracht wird. Und die ganze Zeit wispert er: ›Jude … Jude.‹ Ich könnte es bestimmt verstehen, wenn er es für die Idee oder für die Partei getan hätte oder einfach aus persönlichem Haß. Aber all das war es nicht. Er haßte …«
»Nun gut«, sagte Leamas kurz, »schließlich sollten Sie wissen, dass er ein Saukerl ist.«
»Ja«, sagte Fiedler, »das ist er.« Er schien erregt zu sein. Leamas hatte das Gefühl, Fiedler habe das Bedürfnis, vor jemandem zu prahlen.
»Ich habe viel an Sie gedacht«, setzte Fiedler hinzu. »Ich habe an das Gespräch gedacht, das wir hatten - Sie erinnern sich -, über den Motor?«
»Welchen Motor?«
Fiedler lächelte. »Entschuldigen Sie, das ist wörtlich übersetzt. Ich meine den Antrieb, den Geist, die Triebkraft - wie immer es Christen nennen.«
»Ich bin kein Christ.«
Fiedler zuckte die Achseln. »Sie wissen aber, was ich meine.« Er lächelte wieder. »Der Umstand, der Sie verwirrt … oder, ich will es lieber anders ausdrücken: Nehmen wir an, Mundt sei im Recht. Sie müssen wissen, dass er mich aufforderte, ein Geständnis abzulegen. Ich sollte gestehen, dass ich mit britischen Spionen im Bunde sei, die Mundts Ermordung planten. Sie verstehen die Beweisführung: dass die ganze Angelegenheit vom britischen Secret Service aufgezogen worden ist, um uns dahin zu bringen, dass wir den besten Mann in der ›Abteilung‹ liquidieren. Das ganze sei nichts anderes, als der Versuch des Rondells, seinen Kampf gegen uns mit unseren eigenen Waffen zu führen.«
»Mundt hat das bei mir auch versucht«, sagte Leamas gleichgültig. Und er fügte hinzu: »Als ob die ganze verdammte Geschichte von mir ausgeheckt worden wäre.«
»Aber, was ich meine, ist folgendes: Nehmen wir an, Sie hätten wirklich so gehandelt - ich sage es nur als Beispiel, Sie verstehen -, aber nehmen wir einmal an, es wäre wahr: Würden Sie einen Mann töten - einen unschuldigen Mann?«
»Mundt ist nicht unschuldig. Er ist selbst ein Totschläger.«
»Nehmen wir an, er sei nicht gemeint. Nehmen wir an, ich sei das Opfer, auf das man es abgesehen hat: Würde London so etwas tun?«
»Es kommt darauf an … Es kommt auf die Notwendigkeit an …«
»Ah«, sagte Fiedler zufrieden, »es kommt also auf die Notwendigkeit an. Das ist genau wie Stalin. Sein Beispiel vom Verkehrsunfall und der Statistik. Das ist eine große Erleichterung.«
»Warum?«
»Sie müssen etwas schlafen«, sagte Fiedler. »Bestellen Sie sich zu essen, was Sie wollen. Man wird Ihnen jeden Wunsch erfüllen. Morgen können Sie erzählen.«
Als er an der Tür war, sah er zurück und sagte: »Es ist keinerlei Unterschied zwischen uns - das ist der eigentliche Witz, wissen Sie!«
Leamas war bald mit der zufriedenen Gewißheit eingeschlafen, dass Fiedler sein Verbündter war und dass sie schon bald Mundt in den Tod schicken würden. Das war etwas, worauf er sich schon lange gefreut hatte.
19BEZIRKSTREFFEN
Liz war gern in Leipzig. Das spartanische Leben gefiel ihr. Es gab ihr das beruhigende Gefühl, Opfer zu bringen. Das kleine Haus, in dem sie wohnte, war dunkel und ärmlich, das Essen war dürftig und das meiste davon mußte den Kindern gegeben werden. Sie sprachen bei jeder Mahlzeit über Politik, sie und Frau Ebert, die Parteisekretärin des Bezirkes Leipzig-Hohengrün. Sie war eine kleine, ergraute Frau, deren Mann eine Kiesgrube am Rand der Stadt leitete. Es war, als ob man in einer religiösen Gemeinschaft lebte, dachte Liz, in einem Kloster oder einem Kibbuz oder etwas Ähnlichem. Man hatte das Gefühl, der leere Magen verhelfe zu einer besseren Welt. Liz sprach etwas Deutsch. Sie hatte es von ihrer Tante gelernt. Und sie war überrascht, wie schnell
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