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Der Spion, der aus der Kälte kam

Titel: Der Spion, der aus der Kälte kam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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besteht kein Grund zu der Annahme, dass er zu dieser Zeit etwas anderes gewesen sein soll als ein fleißiges Mitglied seiner Behörde. Aber, Genossen, Sie sollten diese frühe Verbindung zu Skandinavien nicht aus dem Auge verlieren. Denn diese Netze, die von Genossen Mundt bald nach dem Krieg aufgebaut wurden, lieferten ihm viele Jahre später den Vorwand für Reisen nach Finnland und Norwegen. Nun benutzte er seine Verbindungen nur noch als Deckmantel, unter dessen Schutz er bei ausländischen Banken Tausende von Dollar als Lohn für sein verräterisches Handeln in Empfang nehmen konnte. Geben Sie sich keinem Irrtum hin: Genosse Mundt ist nicht etwa ein Opfer jener Leute geworden, die der überzeugenden Gesetzmäßigkeit des historischen Geschehens entgegenzutreten versuchen. Erst Feigheit, dann Schwäche, dann Habgier: das sind seine Motive gewesen. Sein Traum war es, Reichtümer zu raffen. Ironischerweise wurde die Macht der Gerechtigkeit gerade durch das ausgeklügelte System auf seine Spur gebracht, durch das seine Geldgier befriedigt werden sollte.«
    Fiedler machte eine Pause und schaute sich im Raum um. Seine Augen glühten vor Leidenschaft. Leamas war von ihm fasziniert.
    »Es soll all jenen Feinden des Staates eine Lehre sein«, rief Fiedler erregt, »deren Verbrechen so schmutzig sind, dass sie ihre Pläne in den geheimen Stunden der Nacht schmieden müssen.«
    Ein pflichteifrig zustimmendes Murmeln stieg aus der Zuschauergruppe am Ende des Raumes auf.
    »Sie alle werden der Wachsamkeit des Volkes, dessen Blut sie verkaufen möchten, nicht entgehen!« Es hörte sich an, als wollte Fiedler zu einer großen Menschenmenge sprechen, und nicht zu dieser Handvoll von Funktionären und Posten, die in dem kleinen Zimmer versammelt war.
    In diesem Augenblick begriff Leamas, dass Fiedler kein Risiko eingehen wollte: Die Haltung des Gerichtes, der Staatsanwaltschaft und der Zeugen mußte politisch untadelig sein. Da sich Fiedler zweifellos im klaren darüber war, dass in solchen Fällen wie diesem immer die Gefahr einer anschließenden Gegenklage schlummerte, versuchte er schon jetzt, seinen Rücken zu decken: Seine Rede wurde ja Bestandteil des Protokolls, und es hätte eines sehr tapferen Mannes bedurft, wenn jemand sie später widerlegen wollte.
    Fiedler öffnete nunmehr die Akte, die auf dem Tisch vor ihm lag.
    »Ende 1956 wurde Mundt als Mitglied der Deutschen Stahlmission nach London geschickt. Er hatte zusätzlich den Sonderauftrag, Maßnahmen gegen die Umtriebe von Exilgruppen zu treffen. Im Verlauf dieser Tätigkeit setzte er sich großen Gefahren aus - darüber besteht kein Zweifel - und er erzielte wertvolle Ergebnisse.«
    Leamas' Aufmerksamkeit wurde wieder auf die drei Personen am Mitteltisch gelenkt. Links von der Vorsitzenden ein ziemlich junger Mann, dunkler Typ. Seine Augen schienen halb geschlossen zu sein. Er hatte strähniges, widerspenstiges Haar und die blaßgraue Gesichtsfarbe eines Asketen. Seine schlanken Finger spielten unermüdlich mit der Ecke eines vor ihm liegenden Aktenstapels. Leamas nahm an, dass er auf Mundts Seite stand, ohne dass er einen Grund für diese Vermutung hätte angeben können. Auf der anderen Seite des Tisches saß ein etwas älterer Mann mit angehender Glatze und offenem, angenehmem Gesicht. Ein ziemlicher Esel, dachte Leamas. Er vermutete, Mundt werde im Fall eines Zweifels an seiner Schuld von dem jungen Mann verteidigt und von der Frau verurteilt werden. Der zweite Mann würde dann durch diese Meinungsverschiedenheit in Verlegenheit geraten und sich der Vorsitzenden anschließen.
    Fiedler sprach wieder.
    »Am Ende seiner Dienstzeit in London wurde er vom Gegner angeworben. Ich sagte schon, dass er sich großen Gefahren aussetzte. Dabei geriet er in Konflikt mit der britischen Geheimpolizei, und man erließ einen Haftbefehl gegen ihn. Mundt, der nicht unter diplomatischer Immunität stand - der NATO-Staat England erkennt unsere Souveränität nicht an -, mußte untertauchen, denn alle Häfen wurden beobachtet, und seine Fotografie mit einer Personenbeschreibung überall auf den Britischen Inseln verbreitet. Dennoch nahm Genosse Mundt nach zwei Tagen im Versteck ein Taxi zum Londoner Flughafen und flog nach Berlin. ›Brillant‹, werden Sie sagen, und so war es auch. Angesichts der ganzen alarmierten britischen Polizei, trotz ständiger Überwachung der Straßen, Eisenbahnen, Schifffahrts- und Luftlinien besteigt Genosse Mundt auf dem Londoner Flughafen ein Flugzeug.

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