Der Spion, der aus der Kälte kam
erstaunt über Riemecks hellseherische Fähigkeiten? Wie konnte er herausbekommen haben, wo dieser Wagen zu finden war und an welchem Tag? Riemeck hatte selbst keinen Wagen, er konnte de Jong nicht von dessen Haus in Westberlin aus gefolgt sein. Es gab nur eine Möglichkeit, woher er es wissen konnte - durch die Vermittlung unserer eigenen Sicherheitspolizei, die de Jongs Anwesenheit routinemäßig zu melden hatte, sobald der Wagen den Sektorenübergang passiert hatte. Dieses Wissen war Mundt zugänglich, und Mundt stellte es Riemeck zur Verfügung. Dies ist der Beweis gegen Hans-Dieter Mundt. Ich versichere Ihnen: Riemeck war seine Kreatur, das Bindeglied zwischen Mundt und seinen imperialistischen Auftraggebern.« Nach einer Pause setzte Fiedler ruhig hinzu: »Mundt-Riemeck-Leamas: das war die Kette, und es ist ein Grundsatz der Aufklärungsarbeit in der ganzen Welt, dass jedes Glied der Kette so wenig wie möglich von den anderen weiß. Es ist deshalb ganz in Ordnung, wenn Leamas behauptet, er wisse nichts über eine Mitarbeit von Mundt: Das ist nichts anderes als ein Beweis dafür, wie gut man in London die einzelnen Stationen gegeneinander abzuschirmen verstand.
Sie sind weiter davon unterrichtet worden, dass der ganze Fall ›Rollstein‹ mit besonderen Sicherheitsmaßnahmen umgeben wurde, und ferner, dass Leamas in sehr ungenauen Vorstellungen von der Abteilung Peter Guillams vermutete, sie befasse sich mit der wirtschaftlichen Situation in unserer Republik. Es klingt überraschend, dass eine angeblich nur mit Wirtschaftsfragen befaßte Abteilung auf der Verteilerliste von ›Rollstein‹ stand. Erlauben Sie mir den Hinweis, dass derselbe Peter Guillam einer von jenen britischen Sicherheitsoffizieren war, die Mundts Tätigkeit in England zu untersuchen hatten.«
Der junge Mann am Tisch hob seinen Bleistift und fragte, indem er Fiedler mit harten, kalten, weit offenen Augen ansah: »Warum wurde Riemeck dann von Mundt liquidiert, wenn Riemeck doch sein Agent war?«
»Mundt konnte nicht anders. Riemeck stand unter Verdacht. Seine Freundin hatte ihn durch indiskrete Prahlerei verraten. Mundt gab den Befehl, ihn bei seinem Auftauchen sofort zu erschießen, und veranlaßte Riemeck zur Flucht. Damit war für Mundt die Gefahr, verraten zu werden, ausgeschaltet. Später ließ Mundt dann die Frau ermorden.
Ich möchte einmal kurz Mundts Technik beleuchten: Im Anschluß an seine Rückkehr nach Deutschland, im Jahre 1959, begann für den britischen Geheimdienst zunächst einmal ein Geduldspiel. Mundts Bereitschaft zur Zusammenarbeit mußte erst noch bewiesen werden. Man gab ihm deshalb Anweisungen und wartete. Man beschränkte sich darauf, das Geld zu zahlen und das Beste zu hoffen. Zu dieser Zeit war Mundt weder in unserem Amt noch in unserer Partei in leitender Stellung, aber er bekam doch eine Menge zu sehen, und was er sah, wurde weitergegeben. Natürlich hielt er die Verbindung zu seinen Herren ohne fremde Hilfe aufrecht. Wir müssen annehmen, dass man ihn in Westberlin traf, oder dass man bei seinen kurzen Reisen ins Ausland nach Skandinavien und anderswohin Fühlung mit ihm aufnahm. Die Engländer waren am Anfang sehr auf ihrer Hut - wer wäre das nicht -, sie prüften seine Informationen mit peinlicher Sorgfalt an dem, was sie schon wußten. Sie fürchteten zweifellos, dass er ein doppeltes Spiel treiben könnte. Aber allmählich merkten sie, dass sie eine Goldgrube erschlossen hatten. Mundt widmete sich seiner verräterischen Arbeit mit der systematischen Genauigkeit, für die er bekannt ist. Was jetzt folgt, Genossen, ist zwar nur eine Vermutung, aber sie basiert auf langjähriger Erfahrung mit dieser Art Arbeit und auf der Aussage von Leamas: In den ersten Monaten wagten die Engländer nicht, um Mundt herum ein Netz aufzubauen. Sie hielten ihn als einsamen Wolf in ihren Diensten und zahlten und unterwiesen ihn unabhängig von ihrer Berliner Organisation. Sie bildeten in London unter Guillam, der ja Mundt in London angeworben hatte, eine kleine Abteilung, deren Aufgaben sogar innerhalb der Organisation geheimgehalten wurden und außer einem beschränkten Personenkreis niemandem bekannt waren. Sie bezahlten Mundt mittels eines eigenen Systems, das sie ›Rollstein‹ nannten, und behandelten seine Informationen zweifellos mit äußerster Vorsicht. Die Beteuerungen von Leamas, dass ihm die Tätigkeit Mundts unbekannt gewesen sei, steht also keineswegs in Widerspruch zu der Tatsache, von der Sie gleich hören
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