Der Spion, der aus der Kälte kam
Oktober unternahm Genosse Mundt eine geheime Reise nach Finnland - angeblich wieder im Interesse der ›Abteilung‹.« Es war still. Fiedler drehte sich langsam um und sprach nun wieder direkt zu den Richtern. In gedämpftem und zugleich drohendem Ton fragte er: »Haben Sie den Eindruck, dass dies nur Indizienbeweise seien? Erlauben Sie mir, dass ich Ihnen noch etwas ins Gedächtnis rufe.«
Er wandte sich wieder an Leamas: »Zeuge, während Ihrer Tätigkeit in Berlin kamen Sie mit Karl Riemeck, dem früheren Sekretär beim Präsidium der Sozialistischen Einheitspartei, in Verbindung. Welchen Charakter hatte diese Verbindung?«
»Er war mein Agent, bis er von Mundts Leuten erschossen wurde.«
»Ganz richtig. Er wurde von Mundts Leuten erschossen. Einer von mehreren Spionen, die kurz und bündig von dem Genossen Mundt liquidiert wurden, noch ehe sie verhört werden konnten. Aber bevor er von Mundts Leuten erschossen wurde, war er Agent des britischen Geheimdienstes?«
Leamas nickte.
»Schildern Sie Riemecks Zusammenkunft mit dem Mann, den Sie ›Chef‹ nennen.«
»Der Chef kam von London nach Berlin herüber, um Karl zu sprechen. Karl war wohl einer der ergiebigsten unserer Agenten, und der Chef wollte ihn treffen.«
Fiedler schaltete ein: »Ihm wurde wohl auch am meisten vertraut?«
»Ja. In London wurde Karl direkt geliebt, es gab nichts, was er hätte falsch machen können. Als der Chef herüberkam, arrangierte ich ein Treffen in meiner Wohnung. Wir aßen dort zu dritt. Mir war es eigentlich nicht recht, dass Karl in meine Wohnung kam, aber das konnte ich dem Chef nicht sagen. Es ist schwer zu erklären, aber in London sitzt man so weit vom Schuß, und es bilden sich ganz bestimmte Vorstellungen heraus - ich hatte entsetzliche Angst, sie würden plötzlich irgendeine Ausrede finden, um die Führung Karls selbst zu übernehmen. Sie sind durchaus imstande, so etwas zu machen.«
»So haben Sie also eine Zusammenkunft zu dritt arrangiert«, unterbrach Fiedler kurz angebunden. »Was geschah?«
»Der Chef bat mich vorher, ihn unauffällig mit Karl eine Viertelstunde allein zu lassen. Deshalb tat ich dann irgendwann im Laufe des Abends so, als hätten wir keinen Scotch mehr. Ich verließ die Wohnung und ging zu de Jong. Ich nahm dort noch einige Drinks, borgte mir eine Flasche aus, und kehrte zurück.«
»Wie fanden Sie sie vor?«
»Was meinen Sie?«
»Sprachen der Chef und Riemeck noch miteinander? Wenn ja, worüber sprachen sie?«
»Sie sprachen überhaupt nicht, als ich zurückkam.«
»Danke. Sie können sich setzen.«
Leamas kehrte auf seinen Platz zurück.
Fiedler wandte sich den drei Mitgliedern des Gerichtes zu und begann: »Ich möchte zuerst über den Spion Riemeck sprechen, der erschossen wurde: Sie haben eine nach der Erinnerung von Leamas zusammengestellte Liste aller jener Informationen vor sich, die Riemeck in Berlin an Alec Leamas übergeben hat, soweit sich Leamas noch daran erinnern kann. Es ist ein beachtliches Dokument des Verrates. Lassen Sie mich das Material für Sie zusammenfassen. Riemeck gab seinen Herren einen detaillierten Überblick über die Arbeit und das Personal der gesamten »Abteilung«. Er war in der Lage, wenn man Leamas Glauben schenken darf, die Vorgänge in unseren geheimsten Sitzungen zu berichten. Als Sekretär beim Präsidium gab er Protokolle von den geheimsten Verhandlungen preis. Das war leicht für ihn; er stellte selbst den Bericht über jede Sitzung zusammen. Aber wie Riemeck Zugang zu den Geheimsachen der Abteilung gefunden hat, ist eine andere Frage. Wer brachte Ende 1959 Riemeck in den Ausschuß für Staatssicherheit, diesen wichtigen Unterausschuß des Präsidiums, der die Angelegenheiten unserer Sicherheitsorgane koordiniert und behandelt? Wer machte den Vorschlag, dass Riemeck das Recht auf Zugang zu den Akten der ›Abteilung‹ bekommen solle? Wer wählte ihn während jeder Etappe seiner Laufbahn seit 1959 (dem Jahr, da Mundt aus England zurückkehrte, Sie erinnern sich) für Stellungen von außerordentlicher Verantwortlichkeit aus? - Ich will es Ihnen sagen«, rief Fiedler: »Derselbe Mann, der durch seine Stellung einzigartige Möglichkeiten hatte, ihn in seiner Spionagearbeit decken zu können: Hans-Dieter Mundt! Wir wollen uns noch einmal ins Gedächtnis zurückrufen, wie Riemeck den Kontakt zum britischen Geheimdienst in Berlin aufnahm - wie er den Wagen de Jongs bei einem Picknick aufstöberte, um den Film hineinzulegen. Sind Sie nicht
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