Der Spion der Fugger Historischer Roman
Das Leben in der Stadt war praktisch zum Erliegen gekommen. Den einzigen echten Vorzug, den Brügge noch gegenüber dem benachbarten Antwerpen besaß, das ihm längst in allen Belangen den Rang abgelaufen hatte, war die Spanientreue. Während Antwerpen mit Unterstützung der Engländer schon seit einigen Jahren den Aufstand gegen Philipp von Spanien probte, war Brügge zu arm und zu abhängig von den Habsburgern, um sich an diesem Abenteuer zu beteiligen.
Wo die Spanier waren, konnte sein Handelsherr mit einer Faktorei nicht weit sein; das wusste Amman Sachs. Trotz des unaufhörlichen Niedergangs Brügges unterhielten die Augsburger Kaufleute hier ein Kontor, dass trotz seiner Größe auf den ersten Blick jedoch einen ähnlichen heruntergekommenen Eindruck machte wie die gesamte, im längst vergessen geglaubten dunklen Zeitalter stecken gebliebene Stadt. Amman Sachs fühlte sich an die Burg seiner Familie erinnert, Hohensax im Alpenrheintal, die seit mindestens einem Jahrhundert keine Renovierung mehr erlebt hatte. Alles war von gestern. Überall sah man Stillstand.
Umso mehr überraschte es Gemma und Amman Sachs, von dem mürrischen Hauptfaktor Kasper Peutinger begrüßt zu werden, als sie im Kontor der Brüggener Faktorei erschienen. Sachs hatte mit allem gerechnet, nur nicht damit, den Galan seiner Frau an einem ohnehin trostlosen Ort wie diesem anzutreffen.
»Ihr reist mit Dame?« Peutinger hielt sich gar nicht erst mit einer Begrüßung auf, was seine Wut erkennen ließ. »Ihr zertrampelt das zarte Pflänzchen einer neuen Handelsbeziehung, die zwischen London und Augsburg zu sprießen begann – und dann habt Ihr auch noch die Stirn, Euch mit einer Dirne herumzutreiben, Sachs?«
Der Schweizer sah im Augenwinkel, wie Gemma sich versteifte. Sie war offenbar kurz davor, dem Hauptfaktor die Augen auszukratzen. Auch Sachs musste zugeben, dass er Peutinger am liebsten eine runtergehauen hätte. Dass dieser Mann ausgerechnet ihm einen liederlichen Lebenswandel vorwarf, war ein Witz, und auch in Bezug auf Gemma waren Peutingers verletzende Äußerungen fehl am Platz.
Doch Sachs musste sich zusammenreißen. Peutinger gehörte nicht zu denen, die das Geheimnis kannten, das ihn und Gemma verband. Und das sollte nach Möglichkeit auch so bleiben. Deshalb entgegnete er dem Hauptfaktor: »Ihr schickt mich durch die halbe Welt, Peutinger. Da bekomme ich mein eigenes Bett nicht oft zu sehen. Als Mann müsstet Ihr das verstehen.«
Sachs warf einen kurzen Blick auf Gemma; sie begriff die Situation und Sachs’ Vorhaben, Peutinger von ihrer eigenen Existenz abzulenken. So senkte sie den Kopf und zog sich aus dem Kontor zurück.
Peutinger taxierte Gemma mit finsteren Blicken, als sie den Raum verließ. »Ein erstaunlich junges Ding«, sagte er anzüglich.
»Da geben andere sich mit gewöhnlicherer Hausmannskost zufrieden.« Peutinger richtete den Blick auf Amman Sachs. »Nur gut, dass Eure Johannen Euch nicht im Mindesten vermisst.« Nach einer Pause fügte er hinzu: »Wie ich Euch auch nicht vermisst habe, Sachs! Mit Eurer Unfähigkeit habt Ihr die Arbeit zweier Jahre in weniger als sechs Monaten vernichtet! Ich weiß nicht, warum ich Euch in diesem gottlosen Land nicht einfach erschlage wie einen räudigen Hund!« Peutinger fluchte sich offensichtlich in Rage. »Wisst Ihr eigentlich, welche Vermögen Ihr durch Euer grandioses Versagen zerstört habt? Erst die Goldgaleone, die Euch verloren ging – und damit auch das Handelsglück der Fugger mit Spanien und der Neuen Welt. Und jetzt hat man Euch nach nicht einmal einer Woche aus England verwiesen. Wegen Hochverrats! Was habt Ihr Euch dabei gedacht?«
Amman Sachs fragte sich, ob Peutinger auf diese Frage wirklich eine wahrheitsgemäße Antwort erwartete oder ob er seinen heiligen Zorn kühlen wollte. Wahrscheinlich Letzteres, sagte der Fugger-Agent sich schließlich und ließ die Strafpredigt über sich ergehen – wobei er überlegte, wie es kam, dass der Hauptfaktor hier in Brügge weilte. Offenbar hatte er unmittelbar nach ihm, Sachs, ebenfalls Augsburg verlassen. Doch es war sehr ungewöhnlich, dass Peutinger die Zentrale der Fugger verließ. Es musste ein Geschäft von großer Wichtigkeit sein, das ihn hierher nach Flandern gerufen hatte.
Sachs sollte eine Erklärung bekommen, allerdings erst nach weiteren Beschimpfungen. »Ich kann nicht verstehen, Sachs, wie man etwas so Simples wie Eure Mission nach England so kläglich beenden kann. Ich war eigentlich hierher
Weitere Kostenlose Bücher