Der Spion der Fugger Historischer Roman
Dunkelheit einstellten, war noch ausreichend Helligkeit vorhanden, sodass man sich zumindest auf der
Aviso
einigermaßen orientieren konnte.
Ein Ruck ging durch das Schiff, als der Wind jene Schwelle überschritt, dass er die Segel zu blähen vermochte. Das Depeschenboot nahm langsam wieder Fahrt auf. Und es fühlte sich an, als ob nun eine lang anhaltende Beschleunigung begann. Immer weiter nahm die Geschwindigkeit zu, trotz der gerefften Segel, die dem Wind vielleicht nur ein Viertel der vollen Segelfläche preisgaben. Die Brise frischte ständig weiter auf, und der Segler begann sich immer mehr gegen steuerbord und damit gegen Lee zu neigen. Neben der Vorwärtsfahrt des Schiffes wurde nun auch eine seitliche Drift mit dem Wind spürbar. Der Kapitän verließ seinen Posten neben Amman Sachs an der Reling, um zum Steuerstand zu eilen und das Ruder stärker gegen den Wind zu stellen.
Die unheimliche Schwärze der Wolkenbank hatte jetzt den gesamten Himmel verschlungen. Kein heller Fleck am Firmament war von der alles bedeckenden pechschwarzen Tinte verschont geblieben. Die Finsternis um die
Aviso
war so vollständig, als wäre das Schiff im Nichts unterwegs.
Als Amman Sachs hinter sich ein Geräusch hörte, drehte er sich um und sah, wie sich einer der Matrosen mit einem dicken Tau am Fockmast festband. Als der Mann bemerkte, dass der Fugger-Agent ihm bei seiner seltsamen Beschäftigung zuschaute, brüllte er ihm durch den immer stärken tosenden Sturm zu: »Es ist schon mancher von einem solchen Unwetter von Bord geschleudert worden!« Damit setzte er seine Bemühungen fort.
Auch Sachs fiel es zunehmend schwerer, sich auf dem sich immer stärker neigenden Schiff auf den Beinen zu halten. Der Wind toste. Der Kampf mit den Elementen wurde verbissener. Sachs kam der erschreckende Gedanke, dass die Geschwindigkeit des Schiffes dramatisch zunahm und niemand an Bord mehr wusste, wohin sie eigentlich steuerten. Der Fugger-Agent betete, dass ihnen in den nächsten Stunden, die dieses Unwetter noch andauern mochte, keine Insel oder ein Riff in den Weg geriet.
Sachs beschloss, seinen Platz am Bug der
Aviso
aufzugeben. Der Segler stieg nun vor dem Wind auf immer höhere Wellenberge, um dann wieder abzutauchen; die Gischt schlug bereits bis aufs Deck. So berauschend die zunehmende Geschwindigkeit auch war – der Kampf mit dem Sturm und dem Meer, der Körper und Geist in helle Aufregung versetzte und die Furcht, von einem Brecher über Bord gerissen zu werden, ließ Sachs jetzt zum Heck des Schiffes und auf das Deck des Achterkastells flüchten, wo die Ankerlaterne unbeeindruckt vom Unwetter tapfer brannte.
Wegen der gefährliche Schräglage, die die
Aviso
vor dem Wind eingenommen hatte, war es mühsam, sich über Bord voranzukämpfen. Doch Sachs hangelte sich an der Reling entlang, wobei er gelegentlich abzurutschen drohte, doch er hielt sich. Dann kämpfte er sich den Aufgang zum Achterdeck hinauf und darüber hinweg. Schließlich lehnte er sich an die rückwärtige Reling oberhalb des Heckspiegels, hielt sich mit ausgebreiteten Armen daran fest und schaute voraus über das Schiff. So konnte er die ganze Bewegung des Seglers im Auge behalten. Neuerliches Entsetzen durchfuhr ihn, als er durch die unheimliche Dunkelheit den großen Schiffskörper wie ein lebendiges Wesen mit dem Meer kämpfen und sich bewegen sah. Sachs schluckte und schmeckte das Salz in der Luft und der übers Deck sprühenden Gischt auf der Zunge.
So also schmeckt das Meer und die Angst, schoss es ihm durch den Kopf. Wie als Antwort begann ein bedrohliches Knistern die Luft zu erfüllen, wie Amman Sachs es nie zuvor vernommen hatte. Das Geräusch wurde lauter. Und mit einem Mal brannte die Luft, so schien es. Ein gespenstisches Licht flackerte über die Decks, von dem Sachs im ersten Augenblick nicht wusste, wo es eigentlich herkam. Es schien zu leben, dieses Licht; es zuckte umher und schwankte in seiner Intensität.
Für einen Moment dachte Sachs, die Ankerlampe wäre von der Gewalt des Orkans nun doch geborsten und ihre Flammen hätten das hölzerne Schiff erfasst. Doch so war es nicht. Die Laterne, die an einem dicken Pfahl am Heck des Schiffes befestigt war und somit ein Stück über Amman Sachs’ Kopf leuchtete, verbreitete unbeeindruckt von dem Chaos um sie her ihr Licht.
Der Fugger-Agent drehte sich, da er gesehen hatte, dass mit der Öllampe alles in Ordnung war, zum Großmast um. Erkennen und Erschrecken waren eins: Der Mast glühte! Er
Weitere Kostenlose Bücher