Der Spion der Fugger Historischer Roman
Hölle gefahren sind.«
Amman Sachs nahm tapfer noch einen Schluck von dem Armagnac, der um ein Vielfaches kräftiger war als gewürzter Wein. Beim zweiten Mal ging es besser, und sein Mund schien sich halbwegs an die Schärfe des Getränks gewöhnt zu haben. Sachs machte es wie der Kapitän, kniff die Lippen zusammen und zog Luft durch die Mundwinkel ein.
Jemand klopfte an die Tür der Kajüte, und ein Matrose trat ein.
»Käpt’n, ein Unwetter zieht auf«, meldete er kurz und knapp. Der Kapitän verschloss sofort die Flasche mit dem
aqua ardens
und stellte sie zurück in den Schrank. Dann ging er eilig hinaus. Sachs hörte seine schweren Schritte im Gang, der zum Freideck führte. Der Fugger-Agent nahm seinen Zinnbecher und leerte ihn, ehe er dem Kapitän folgte.
Als Sachs ebenfalls aus der Tür des Achterdeckkastells trat, sah er, warum der Kommandeur der
Aviso
geholt worden war. Der Fugger-Agent trat an die Bordwand, um freien Blick auf das Schauspiel zu haben, das sich von ihrer Position aus südlich von ihnen zutrug, also backbord voraus. Die Sonne stand jetzt an steuerbord tief über dem Horizont. Aber das war es nicht, was die Aufmerksamkeit aller auf dem Schiff fesselte.
Sie hatten die Insel Hispaniola offenbar längst hinter sich gelassen, als der Kapitän und Amman Sachs die Karten unter Deck studiert und von dem Branntwein probiert hatten. Nun fuhren sie in die offene See hinein und auf einen Himmel zu, der vom Horizont her schwarz zu werden schien. Es war ein so unglaubliches, intensives, absolutes Schwarz der Wolken, wie Amman Sachs und sicher alle anderen auf der
Aviso
es noch nie gesehen hatten. Dieses Schwarz schien alles Licht zu verschlingen und unaufhörlich anzuschwellen, als wollte es die ganze Welt in sich aufsaugen.
Amman Sachs suchte nach einer Beschreibung, einem Bild, um sich erklärbar zu machen, was er da sah. Es war sichtbar gewordene Angst, ein erlebter Schrecken, ein Albtraum, der sich jedoch nicht in einem selbst abspielte, in der eigenen Seele. Nein, dieser Schrecken war da draußen am Firmament und kam unaufhaltsam näher, immer finsterer, immer bedrohlicher. Als hätte jemand ein Tintenfass ausgegossen, und die schwarze Farbe strömte nun über ein schneeweißes Blatt Papier und fraß alles auf, was eben noch rein und sauber gewesen war, überzog es mit einem Schwarz, das auf eine grausame Weise schön war, bei dem man jedoch alles Unheil spüren konnte, das davon ausging.
Sachs fragte sich, ob sie sich der unglaublich dunklen Wolkenbank in diesem atemberaubenden Tempo näherten, oder ob es die Schwärze selbst war, die so schnell über den Himmel trieb. Erst dann fiel dem Fugger-Agenten auf, dass jeder Laut auf dem Schiff erstorben war. Kein Geräusch ging mehr von dem Schiff aus. Die Männer standen wie in Trance an der Reling. Als Sachs in die Masten hinauf schaute, erkannte er, dass die Segel schlaff von den Rahen hingen. Zwar hatte das Schiff noch Geschwindigkeit, doch konnte man spüren, dass die Fahrt immer langsamer wurde.
Die Ruhe vor dem Sturm, überlegte Amman Sachs. Und dann blickte er wieder hinaus auf das Meer und zum Himmel, wo das grandiose Spektakel weiter vorangeschritten war.
Der Fugger-Agent sah jetzt, wie innerhalb der pechschwarzen Wolkenbank in unregelmäßigen Abständen helle Blitze leuchteten, die allerdings nicht die Erde zu erreichen schienen. Es schien, als gingen die Leuchterscheinungen von den schwarzen Wolken aus und würden auch wieder darin enden.
Aber das war noch nicht einmal das Unheimlichste. Was Sachs am meisten ängstigte, war der Anblick nach jedem aufflackernden Blitz: Dann nämlich erkannte man die innere Struktur dieser gigantischen schwarzen Wolkenmasse. Und was man dann für den Bruchteil eines Augenblickes sehen konnte, war eine unfassbare, lebendig erscheinende, brodelnde Masse ungeheuren Ausmaßes, die sich ständig in sich selbst umzuwälzen und ihr dämonisches Wachstum aus sich selbst heraus zu speisen schien. Und trotz der Blitze ging kein Geräusch, kein Donnern, kein Dröhnen, nicht einmal ein Sausen von diesem Ungetüm aus.
Wo die schwarze Tinte dieser Wolke den Himmel noch nicht mit seiner alles erstickenden Finsternis überzogen hatte, sah man jetzt das friedlichste Abendrot leuchten, das die übrigen, noch sichtbaren Bereiche des Himmels in ein glühendes Türkis zu verwandeln schien. Und der Kontrast zwischen strahlendem Abendhimmel und absolutem Schwarz steigerte die unerhörte Dramatik dieses Schauspiels der
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