Der Spion der Fugger Historischer Roman
schlitterte, wie die Planken brachen und das Holz splitterte, wie die Rümpfe sich gegeneinander drängten, sich ineinander verkeilten und zu einer plumpen Masse wurden. Da das fremde Schiff beim Aufprall ungleich schneller gewesen war als die
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, wurden die Schiffe über steuerbord herumgerissen, was die nach Lee gebrassten Segel der
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mit der falschen Seite – der Segelvorderseite – in den Sturm schob.
Ein gewaltiges Knirschen war zu vernehmen, als die beiden unheilvoll ineinander verkeilten Schiffswände sich mit den Wellen und der Windbewegung senkrecht gegeneinander verschoben. Dann gab es wieder einen gewaltigen Ruck, und Amman Sachs spürte, wie der Segler vom anderen Schiff freikam.
Der Fugger-Agent hatte sich mittlerweile aufgerappelt und horchte noch einen Moment in seinen Körper, ob er beim heftigen Sturz eine Verletzung davongetragen hatte. Dann hob er im blassen Schein der Ankerlaterne den Blick und taumelte im tosenden Chaos des Orkans zur vorderen Balustrade des Achterdecks, um zu sehen, wie die Lage auf dem Hauptdeck sich darbot. Als Sachs hinunterblickte, durchfuhr ihn eisiger Schock.
Wie Horden wilder Barbaren sprangen immer neue Männer mit grausamem Gebrüll vom anderen Schiff auf das Deck der
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, gezückte Säbel in den Händen, manche mit einem Messer zwischen den Zähnen. Mit schnellen Schritten verteilten sie sich auf dem Hauptdeck und setzten den Kapitän am Steuerstand und die Mannschaft an ihren Posten fest. Einige verschwanden in der Tür des Achterkastells, die unter Deck führte. Es dauerte nur Augenblicke, da hatten die Angreifer das Depeschenboot vollständig unter ihre Kontrolle gebracht, ohne dass ein einziger Tropfen Blut vergossen wurde.
Sachs war fasziniert und beeindruckt – auch dann noch, als einer der fremden Männer zu ihm heraufkam und ihm den Säbel an den Hals legte. Sachs versuchte gar nicht erst, sich zu wehren. Sein Messer, das er fast nur zum Essen benutzte, wirkte lächerlich angesichts der Waffen, die die Angreifer benutzten.
Der Bewaffnete stieß den Fugger-Agenten zum Niedergang des Hauptdecks, und Sachs beeilte sich, hinunterzukommen. Unter der geschlossenen Ladeluke waren bereits der Kapitän und Teile der Mannschaft zusammengetrieben worden, umstanden von den Angreifern, die immer noch drohend ihre Säbel schwangen. Amman Sachs sah sich um und erkannte nun, dass der Segler, der sie so heftig gerammt hatte, inzwischen wieder freigekommen sein musste.
In diesem Moment flammte in einiger Entfernung voraus ein Licht auf. Sachs vermutete, dass man drüben nun auch das Ankerlicht entzündet hatte, damit die beiden Schiffe ihre jeweilige Position erkennen konnten. Weitere Lichter erschienen unterhalb der ersten Lampe; das konnte nur bedeuten, dass auch in den Kajüten drüben auf dem Klipper die Lichter wieder aufleuchteten.
Amman Sachs schüttelte den Kopf. Was für ein Husarenstück. Und die
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hatte mit ihrer aus Vorsicht aufgehängten Signallampe den Feind in der schwärzesten Nacht direkt zu sich geführt!
Das erste Mal, seit die Angreifer an Bord gestürmt waren, hörte Sachs, wie zwei der fremden Matrosen ein paar Worte wechselten. Der Fugger-Agent erkannte, dass sie Englisch sprachen. Und das bedeutete, dass Besatzung und Passagiere eines spanischen Depeschenbootes von einem englischen Seefahrer auf offener See überfallen und gekapert worden waren . . .
Amman Sachs wurde erst jetzt die ganze Tragweite dieses ungeheuerlichen Geschehens bewusst. Hatte man ihm nicht erst vor wenigen Wochen, unmittelbar vor seiner Abfahrt aus der Alten Welt, gesagt, dass zwischen England und Spanien eine Art Waffenruhe herrschte? Dass beide Länder sogar einen Vertrag darüber abgeschlossen hatten? Und nun waren sie hier von einem britischen Piraten geentert worden.
Doch Sachs kam nicht dazu, darüber nachzudenken, was dies für seine eigene Situation bedeuten konnte, denn mit harschen Kommandos wurden er und die anderen Männer der
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unter Deck getrieben, wo man sie in die Mannschaftsquartiere sperrte und die Tür hinter ihnen verbarrikadierte. Später stieß man noch den Priester zu ihnen hinein, der als Passagier an Bord des Depeschenbootes war. Weder Tecuichpo noch Gemma konnte der Fugger-Agent im spärlichen Licht der Öllampen entdecken.
Sie waren Gefangene auf ihrem eigenen Schiff. Doch die Mannschaft der
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fand sich schnell in die neue Situation hinein, hatte es doch auch was Gutes, dass nun andere Männer ihre Pflichten auf dem
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