Der Spion der Fugger Historischer Roman
die den Weg ins Innere der offensichtlich weitläufigen Anlage erhellten. Die letzten Sonnenstrahlen des Tages gaben zur Überraschung des Fugger-Agenten den Blick frei auf einen üppigen Obstgarten, der sich in mehreren Terrassen im Schutz der weiten Festungsmauer leicht den Burghügel hinunterzog.
»Es ist schon eine Ironie«, hörte Sachs hinter sich unvermittelt die Stimme Escobars. »Da erreichen wir das so genannte Sonnentor dieser Kreuzritterburg ausgerechnet in dem Moment, in dem sich das Sonnenlicht zur Nacht verabschiedet. Hoffen wir, dass das kein schlechtes Zeichen ist.«
Wieder konnte der Fugger-Agent die Worte des Cancellarius nicht deuten. Aber seine Sinne waren auch noch immer gefangen von der geradezu magischen Wirkung der mächtigen Festungsmauern und des Plateaus, das den riesigen Vorplatz zur eigentlichen Klosteranlage bildete.
In weitem Bogen wurde der Kutschwagen vor einer großen und hohen Freitreppe in Position gebracht, die zu einer Kirche und weiteren Gebäuden auf einer höheren Ebene der Klosterburganlage hinauf führte. Die Kutschtür wurde von außen geöffnet. Als Escobar und Amman Sachs ausstiegen, wurde der vorhin schon überwältigende Eindruck von der gesamten Anlage noch einmal gesteigert.
Erst jetzt erkannte der Fugger-Agent, dass die beiden Tore der Festung von einer für sich stehenden, gewiss Jahrhunderte alten eigenen Burg gesichert wurden, zu der auch der Burgfried gehörte, den man vom Tal aus hatte sehen können. Über lange, gotisch wirkende Arkadenbauten war diese erste Burg mit der eigentlichen Klosteranlage dahinter verbunden, die aus einem zentralen, zwar eher kleinen Dom bestand, um den herum sich jedoch eine Vielzahl weiterer Arkadenbauten anschlossen – wahrscheinlich Kreuzgänge und die eigentlichen Klosterräumlichkeiten, wie Sachs vermutete. Wie weit diese sich vom Plateau weg erstreckten, auf dem sie sich jetzt befanden, konnte man nicht erkennen – was den Eindruck nährte, diese Bauten müssten unendlich groß sein.
»Und keine Seele auf der Welt ahnt, dass es diese gewaltige Burg tatsächlich gibt! Unfassbar!«
Dieser Ausruf des Erstaunens entfuhr dem Schweizer, ohne dass er sich dessen bewusst gewesen wäre. Escobars Reaktion erfolgte denn auch unmittelbar: »Vergesst nie, dass es auch noch möglichst lange so bleiben soll«, ermahnte er seinen Begleiter. »Alles, was Ihr hier sehen und hören werdet, darf niemals und unter keinen Umständen über Eure Lippen kommen. Denkt immer daran!« Dann schnaufte Escobar und machte sich daran, die große Freitreppe zu ersteigen. »Folgt mir!«
Amman Sachs war überwältigt. Die Inszenierung der Reise von Lissabon hierher nach Tomar . . . die Entdeckung, dass der Mythos der Kreuzritterburg der Christusritter Wirklichkeit war . . . der Eindruck dieser riesigen Anlage selbst . . . das alles ließ sämtliche Eindrücke zu einem Rausch der Sinne werden. Und der Fugger-Agent war sich sicher, dass er nun tatsächlich vor König Philipp gebracht würde. Er würde sich vor dem Herrscher auf die Knie werfen und mit aller Inbrunst für den Verlust der
Flor de la Mar
um Vergebung bitten. Nur wahre Ritterlichkeit, mutmaßte Sachs, würde vor einem solchen Herrscher Gnade finden können.
Doch zu seiner großen Enttäuschung wurde Sachs nicht in eine Kanzlei oder Klause des düsteren Königs geführt, um sofort seine theatralisch geplante Entschuldigung vorbringen zu können. Stattdessen geleitete der Kanzler ihn durch kunstvoll verzierte, mit unglaublichen Schnörkelarbeiten versehene Gänge und Flure, über die sie offensichtlich in einen der rückwärtigen Flügel des Klosters gelangten. Sachs hatte rasch die Orientierung verloren; zu sehr konzentrierte er sich auf die üppige Pracht der Ausstattung, mit denen jeder Zoll der Bauten verziert war.
Auch die geheimnisvollen Männer in den schwarzen Kutten mit großen roten, aufgestickten Kreuzen auf der Brust, die ihnen immer wieder in kleinen Gruppen begegneten, fesselten Sachs’ Aufmerksamkeit. Echte Ritter, vermutete er. Auch sie waren wie diese Burg eigentlich längst ein romantischer Mythos, der sich durch Vieles von dem unterschied, was der Fugger-Agent selbst als Soldat der Schweizergarde über das Militärwesen kennen gelernt hatte. Hier jedoch liefen die Ritter vergangener Jahrhunderte in stiller Andacht oder regem brüderlichen Disput umher, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt.
Als sie einen menschenleeren Flur entlanggingen, fragte Amman Sachs
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