Der Spion der Fugger Historischer Roman
gewaltiges Königreich am Leben erhalten konnten. Doch mitsamt dem stolzen Schiff und dem sagenhaften Goldschatz war ein noch viel wertvollerer und sehr viel schwerer wiegender Schatz für immer verloren, für deren Verlust ebenfalls er, der glücklose Agent des großen Handelshauses, die wesentliche, wenn nicht gar alleinige Verantwortung trug.
»All die unglücklichen Menschen, die mit diesem vermaledeiten Schiff verloren gegangen sind!«, sprach Amman Sachs laut seinen bis jetzt verdrängten größten Schmerz aus. Es ging hier nicht allein um Gold und andere Kostbarkeiten. Es ging vor allem um die vielen Menschen, die ihr Schicksal mit dem der unglückseligen Galeone verknüpft hatten und nun wahrscheinlich mit ihr zusammen auf dem unerreichbaren Grund des Ozeans lagen. Konnte jemand, der den Tod so vieler Menschen auf dem Gewissen hatte, überhaupt noch weiterleben?
Amman Sachs spürte, wie Angst und Verzweiflung sich in ihm ausbreiteten.
Der Riegel der schweren Tür der Zelle wurde geräuschvoll zur Seite geschoben, und begleitet vom Knarren der Scharniere trat der Cancellarius in den kleinen Raum. Einen Moment lang überlegte Amman Sachs, ob er seinem ersten Impuls folgen und an dem Spanier vorbei ins Freie fliehen sollte, aber dann hätte er sich immer noch im Innern einer schwer befestigten Burganlage befunden; und ob er es geschafft hätte, sich aus dieser Festung zu befreien, war sehr fraglich.
»Ihr seht aus, als hätten Euch endlich die Tränen übermannt, Hohensax«, begann der Spanier. »Das ist gut. Der Anlass für euer Hiersein rechtfertigt diese Trauer. Ja, die Kammern eines Klosters sind nun einmal der beste Ort für eine gründliche innere Einkehr.«
Erst jetzt bemerkte Amman Sachs von seiner Liege aus, auf der er immer noch kraftlos lag, dass der Kanzler eine große Dokumentenrolle in Händen hielt. »Bringt Ihr bereits mein Urteil, noch ehe die Beweisaufnahme angefangen hat, Meister Escobar? Oder was ist das für eine Urkunde, die Ihr dort mit Euch tragt?«
Der Angesprochene entrollte das Pergament und studierte es mit flüchtigem Blick. Dann wickelte er es wieder in seine ursprüngliche Form, trat auf den schlichten Tisch zu, auf dem immer noch Wasser und Brot standen, ohne dass Sachs es angerührt hatte, und legte das Schriftstück ebenfalls dort ab. Aus einer Tasche seines Wamses holte er dann ein kleines, mit einem Korken verschlossenes Tintenfass hervor; dann zauberte er eine prächtige Schreibfeder aus einer Innentasche.
»Noch nicht das Urteil, mein Freund. Aber Seine Majestät König Philipp hat die Nacht damit zugebracht, sich von mir die jüngsten Ereignisse in Lissabon berichten zu lassen und Euch persönlich seine Fragen aufzuschreiben. Der König ist ähnlich übermüdet wie Ihr. Im Gegensatz zu Euch aber hat er sich noch einmal zur Ruhe begeben können. Ihr hingegen werdet jetzt schreiben, denn wenn der König erwacht, erwartet er Euren Bericht. Aber ich warne Euch, Hohensax, fasst Euch kurz. Nutzt den freien Platz auf dem Pergament, doch je knapper und präziser Eure Aussagen und Angaben sind, desto mehr werdet Ihr den König für Euch und Euer Los einnehmen können.«
Damit schritt der Kanzler wieder zur Tür. »Wenn Ihr fertig seid mit Eurem Protokoll, klopft einfach an die Tür. Ein Ordensbruder steht draußen bereit, mich zu rufen. Übergebt das Pergament niemandem außer mir, habt Ihr verstanden?« Mit einem ernsten Blick fixierte Escobar den Schweizer. Amman Sachs nickte. »Gut. Dann erhebt Euch jetzt von Eurem Lager und hört auf, Euch zu bemitleiden. Macht Euch endlich an die Arbeit.«
Geräuschvoll wurde die Tür geschlossen. Amman Sachs war wieder allein mit sich und seinen Gedanken. Einen Moment zögerte er noch; dann erhob er sich tatsächlich von der unbequemen Pritsche und trat ebenfalls an den Tisch. Er brach sich ein Stück vom immer noch saftigen Brot ab und steckte es sich in den Mund, klopfte Mehlreste von seinen Fingern und nahm das Pergament.
Die Fragen, die er darauf las, waren in einer offensichtlich befehlsgewohnten, geradlinigen Sprache verfasst: »Mit wem hat Er bis heute über die Passage der
Flor
gesprochen?« – »Welche Fracht befand sich nach Seinen Kenntnissen an Bord? Material, Aussehen, Gewicht.« – »Wie hoch schätzt Er den genauen Verlust ohne den Wert des Schiffes?« – »Welche Ursachen für das Verschwinden der
Flor
hält Er für möglich?«
In diesem Tonfall waren auf dem Pergament eine Vielzahl von Fragen aufgeführt, mit
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