Der Spion der Fugger Historischer Roman
überlegt hoffentlich nicht, wie Ihr unerlaubt in den Tower eindringen könnt, Sir«, wandte der Bootsführer sich plötzlich an Amman Sachs. Der Mann hatte sich wohl über das auffällige Interesse des Fremden für die Burg gewundert. »Seid Ihr etwa ein feindlicher Spion, der den Tower auskundschaften sollt?«
Der Fugger-Agent hätte über die Naivität der Frage lachen können, wäre er nicht so überrascht gewesen. Tatsächlich brachte die Frage Amman Sachs dermaßen aus dem Konzept, dass er die Antwort schuldig blieb: Genau das, was der Bootsführer vermutete, war ja sein Anliegen.
»Ich kann Euch nur warnen, dort hineinzugehen. Es ist sehr gefährlich«, fuhr der Bootführer fort. »Es geht dort nicht mit rechten Dingen zu. Geister gibt es dort, die Geister der Geköpften, denn der Tower ist auch der Richtplatz von London. Und unsere Königin soll sich dort ganz seltsame Wesen zu ihrem Vergnügen halten. Weiße Bären zum Beispiel, riesengroß und schrecklich gefährlich. Sie fressen einen Soldaten am Tag, erzählt man. Auch gewaltige Tiere mit Schwänzen am Rücken und im Gesicht soll es geben, größer als ein Tagelöhnerhaus. Die können einen Menschen mit einem einzigen Tritt ihrer Füße töten, heißt es. Scheußliche Wesen! Kein guter Ort! Und dann noch die königlichen Löwen . . . Wer das Schloss als Besucher betreten will, muss etwas Lebendiges mitbringen, das diese Löwen zu Tode hetzen können. Es ist das größte Vergnügen der Königin, so sagt man, eine arme verlorene Seele den Löwen zum Fraß vorzuwerfen.«
Amman Sachs hatte einst in Rom gelebt, im Dienst des Papstes. Er hatte das Kolosseum gesehen und die Berichte über die Zirkusspiele der alten Lateiner gelesen. Für so abwegig hielt er die Aussage des Bootsführers also nicht. Herrscher mussten manchmal grausam sein; nur so konnte ihre Macht fortbestehen, weil sonst ihre Autorität nicht gefürchtet wurde.
Er würde sich also doppelt vorsehen müssen, wollte er tatsächlich in diese Festung hinein. Nicht nur von den vielen Soldaten drohte ihm Gefahr – auch von den wilden Tieren, die es im Innern der Anlage offenbar gab.
In diesem Moment sah Amman Sachs, wie sich am westlichen Rand der zum Fluss gelegenen Burgmauer mit lautem Knarren ein schweres eisernes Tor öffnete. Der Schweizer erkannte mehrere Personen, darunter eine prächtig gekleidete Frau mit einem funkelnden Diadem im Haar, die durch das Seitentor auf die Kaimauer schlüpften und von dort zur Prunkbarke schlenderten. Nur wenige Augenblicke später war das Boot los und die zwei Dutzend Ruder ausgelegt, die mit kraftvollen Schlägen die Barke flussaufwärts trieben.
»Da habt Ihr aber Glück, Sir«, sagte der Bootsführer, der das Schauspiel ebenfalls verfolgt hatte. »Das war die Königin mit ihrem kleinen Gefolge. Wahrscheinlich fährt sie hinüber zum Palast von Whitehall, wo sie seit dem verheerenden Feuer in Westminster meist residiert. Die nehmen immer das Boot. Auf die Straßen Londons würden die sich niemals trauen.«
Schließlich ließ Sachs sich wieder an Land bringen. Den ganzen restlichen Tag streifte er durch die weitläufigen Anlagen rund um den Tower of London, um eine Möglichkeit zu finden, wie er bis zur Küche der Alchemisten im Innern der Burg vordringen könnte. Doch das Unternehmen schien ganz und gar undurchführbar.
Auch den nächsten und übernächsten Tag grübelte der Fugger-Agent über sein verwegenes Vorhaben nach. Dann glaubte er endlich eine Möglichkeit gefunden zu haben, wie er sein Vorhaben in die Tat umsetzen konnte.
Nach Einbruch der Dunkelheit ging Sachs auf den so genannten Lionstower zu, der vom Westen her den Zugang für Besucher der Burg zu bilden schien. Hier standen außerhalb der Burgmauern Wachen mit Hellebarden auf Posten. Auf diese Männer ging Sachs nun zu, nachdem er sich davon überzeugt hatte, dass die königliche Barke vor der Burg an der Kaimauer lag. Der Hof mit seinem Gefolge befand sich also im Innern der Festung.
»Guten Abend. Freiherr von Hohensax bittet auf Geheiß von Sir Thomas Gresham um Einlass.« Feierlich zog Sachs sein aufwendig gesiegeltes Empfehlungsschreiben des Bonaventura von Bodeck an Thomas Gresham hervor, entfaltete es umständlich und reichte es den Wachen. Er hoffte mehr als dass er glaubte, mit dieser Täuschung Erfolg zu haben. Doch er war überzeugt, dass die einfachen Soldaten nicht lesen konnten.
Die Wachen besahen sich das förmlich aussehende Dokument und befühlten das Siegel, das sie
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