Der Spion der Fugger Historischer Roman
offensichtlich nicht kannten. Dann falteten sie das Schreiben wieder zusammen und gaben es ohne Kommentar an Amman Sachs zurück.
»Kann passieren!«, hörte er den Soldaten schließlich den erlösenden Satz rufen. Das hölzerne Tor unter dem Lionstower wurde geöffnet, und mit festen Schritten betrat Sachs das Innere der Festung. Vor sich sah er ein zweites Türmchen mit einem Tor, das der Middle Tower sein musste. Auch hier standen Wachen, und auch hier wurde er auf die gleiche Art und Weise kontrolliert wie am ersten Tor.
Mit einem Mal hörte Sachs wildes Gebrüll. Tumult entstand in der Dunkelheit zwischen den Türmen. Da er jedoch bis aufs Äußerste angespannt war aus Furcht, sein Betrug könnte auffliegen, erschrak er nicht, was ihm die Anerkennung der Soldaten einbrachte, die ängstlich auf das Getöse reagierten.
»Es sind die königlichen Löwen«, erklärte einer von ihnen dem unbekannten Besucher. »Sie sind dort in den Käfigen. Ich weiß, dass die Käfige sicher sind, aber es ist doch zum Fürchten, die Bestien in der Nähe zu wissen.« Der Soldat hatte voller Angst gesprochen. Amman Sachs ahnte, dass der Dienst vor den Toren und Wachtürmen bei den Soldaten des Towers sehr unbeliebt sein musste.
Nach Passieren des zweiten Tores sah Amman Sachs im fahlen Nachtlicht ein weiteres Tor vor sich, das gleich von zwei Türmen flankiert wurde: den Byward Tower. Auch hier wiederholte sich die Prozedur. Der Fugger-Agent sagte seinen Spruch auf und zeigte sein Schreiben vor, worauf die Wachhabenden das Schriftstück betrachteten, ohne es lesen zu können, und ihn schließlich durchließen, was weniger Gefahren barg, als einen Edelmann zu brüskieren.
»Die Residenz der Königin befindet sich gleich hier rechts der Münzgasse«, sagte einer der Soldaten und zeigte einen Weg hinauf, der vom Byward Tower am Themseufer landeinwärts führte. »Soll Euch jemand den Weg zeigen?« Sachs winkte ab und schritt in angezeigter Richtung davon, wobei er die Reihenhäuser, die die Münzgasse linker Hand begrenzten, im Vorbeigehen aufmerksam musterte. Rechter Hand entlang der schmalen Straße zog sich der zweite Burgwall hin, hinter dem der eigentliche innere Burgbezirk liegen musste – mit der Residenz der Königin und dem White Tower, der alten, ursprünglich normannischen Festung.
Der Fugger-Agent suchte nach Anzeichen, dass sich im Innern der Reihenhäuschen an der Münzgasse irgendetwas rührte. Doch die Gebäudezeile lag im Dunkeln. Allerdings hörte er in unregelmäßigen Abständen ein kräftiges Schlaggeräusch wie von Eisen auf Eisen. Sachs erkannte die Geräusche als die eines Münzmachers, wenn der Münzstempel mit dem zusätzlichen Gewicht des Hammers wuchtig auf den Münzrohling traf.
Sachs versuchte dem wiederkehrenden Geräusch zu folgen, das lauter wurde, je weiter er die Münzgasse hinaufging. Schließlich meinte er das Gebäude erreicht zu haben, aus dessen Innern der Münzhammer zu hören war. Doch es war kein Licht in dem Haus zu sehen. Sachs ging näher an die bleiverglasten Fenster heran und sah, dass sie von innen mit dicken Decken zugehängt sein mussten.
Wieder war der wuchtige Schlag des Münzhammers zu vernehmen. Amman Sachs ging zur Tür den Hauses und versuchte sie zu öffnen, doch sie schien von innen mit einem Riegel gesichert zu sein. Er überlegte kurz; dann zog er sein Messer aus der Scheide am Gürtel und führte es in den Spalt zwischen Türsturz und Tür. Sachs war klar, dass er auf diese Wiese nur Erfolg haben würde, wenn ein Kippriegel die Tür sicherte; gegen einen Schieberiegel konnte er auf diese Weise nichts ausrichten. Doch er hatte Glück. Er spürte kurz den Widerstand; dann klappte der Bügel des Riegels mit einem leisen Geräusch zurück, und die Tür ließ sich öffnen.
Amman Sachs horchte durch die offene Tür ins Innere des Hauses. Er vernahm die Geräusche von Handwerkern, die in einer Werkstatt arbeiteten. Vorsichtig betrat Sachs den Flur des Hauses und verschloss lautlos die Tür hinter sich. Er fühlte, wie sein Herz schneller schlug. Schweiß trat ihm auf die Stirn. Langsam ging er weiter über den Flur.
Links von ihm führte ein Durchgang weg, der wie die Fenster mit einem dicken Vorhang zugezogen war. Sachs trat langsam an diesen Vorhang heran und schob ihn einen kleinen Spalt zur Seite. Für einen Moment war er von plötzlicher Helligkeit geblendet; dann hatten seine Augen sich an das Licht gewöhnt, das von zahlreichen Laternen ausging.
Sachs sah zwei
Weitere Kostenlose Bücher