Der Spion der mich liebte
zwischen uns gewesen war, wieder herbeizuzwingen. Ich würde mich von ihm fernhalten, ihn seine eigene Straße wandern lassen, auf der er anderen Frauen begegnen würde, zahllosen anderen Frauen, die ihm wahrscheinlich ebensoviel körperliches Glück schenken würden, wie er es mit mir erlebt hatte. Es würde mir nichts ausmachen, zumindest redete ich mir das ein, denn keine von ihnen würde ihn jemals besitzen - ein größeres Stück von ihm ihr eigen nennen, als ich jetzt besaß. Und mein ganzes Leben wollte ich ihm dankbar sein, für alles. Für immer würde ich ihn im Gedächtnis behalten als mein Idealbild eines Mannes.
Wie konnte man nur so pathetisch sein? Was gab es an diesem nackten männlichen Geschöpf, das da neben mir lag, zu dramatisieren? Er war von Berufs wegen eine Art Polizeibeamter, der seine Pflicht getan hatte. Und zu dieser Pflicht gehörte es, Waffen zu gebrauchen und Menschen zu töten. Was war daran so bewundernswert? Tapfer, stark, erbarmungslos mit Frauen - diese Eigenschaften erforderte sein Beruf, dafür wurde er bezahlt. Er war nichts anderes als eine Art Spion, ein Spion, der mich geliebt hatte. Nein, nicht geliebt, der mit mir geschlafen hatte. Weshalb sollte ich ihn zu meinem Helden erheben? Ein plötzlicher Impuls regte sich in mir, ihn aufzuwecken und zu fragen: »Kannst du nett sein? Kannst du gütig sein?«
Ich drehte mich auf die Seite. Er schlief. Sein Atem ging ruhig. Der Kopf ruhte auf dem ausgestreckten linken Arm, sein rechter Arm war unter dem Kissen vergraben. Draußen leuchtete hell der Mond. Rotes Licht sickerte durch die Vorhänge, ließ die gebräunte Haut sanft aufleuchten. Ich beugte mich über ihn, atmete seine Männlichkeit, sehnte mich danach, ihn zu berühren, mit der Hand über den sonnverbrannten Rücken zu streichen bis zu der Stelle, wo die Haut plötzlich weiß wurde, wo er die Badehose getragen hatte. Nachdem ich ihn lange angesehen hatte, legte ich mich wieder hin. Nein, er war doch ganz so, wie er in meiner Vorstellung lebte. Ja, er war ein Mann, den man lieben mußte! Die roten Vorhänge am anderen Ende des Zimmers bewegten sich. Draußen hatte sich der Wind gelegt. Es war kein Laut zu hören. Träge schlug ich die Augen auf, um zu dem Fenster über mir aufzublicken. Hier hingen die Vorhänge ruhig und reglos. Vom See her mußte der Wind jetzt auffrischen. Schlafe doch endlich!
Und dann wurden die Vorhänge plötzlich geräuschvoll zurückgerissen. Ein großes glänzendes Gesicht blickte durch das Schiebefenster.
Ich habe nie gewußt, daß sich einem tatsächlich das Haar sträuben kann. Ich dachte immer, das wäre nur eine phantastische Übertreibung. Doch ich vernahm ein kratzendes Geräusch auf dem Kissen neben meinem Gesicht, und ich fühlte die frische Nachtluft auf meiner Kopfhaut. Ich wollte schreien, doch ich konnte nicht. Meine Glieder waren erstarrt. Ich konnte weder Hände noch Füße bewegen. Ich lag bewegungslos da und starrte auf das Gesicht, wurde mir meiner körperlichen Reaktionen bewußt - selbst dessen, daß meine Augen so weit aufgerissen waren, daß sie schmerzten. Doch ich konnte keinen Finger rühren. Ich war vor Schreck wie versteinert.
Das Gesicht hinter dem Fenster grinste. Das Mondlicht spiegelte sich in den Zähnen, den Augen und in dem haarlosen Kopf, so daß er aussah wie ein von innen angestrahlter Kürbis.
Das geisterhafte Gesicht drehte sich langsam, das Zimmer überblickend. Es sah das weiße Bett mit den beiden Köpfen auf den Kissen. Es hielt still. Langsam, mühsam hob sich eine Hand mit einer Schußwaffe und schlug ungelenk nach unten in die Fensterscheibe.
Das Geräusch wirkte auf meine Nerven wie ein Auslösemechanismus. Ich schrie und schlug um mich. Aber das Splittern des Glases hatte ihn bereits aufgeweckt. Und dann peitschten rasch hintereinander zwei Schüsse auf. Eine Kugel bohrte sich über meinem Kopf in die Wand, wieder klirrte Glas, und das Kürbisgesicht war verschwunden. »Alles in Ordnung, Viv?« Seine Stimme klang eindringlich, ängstlich.
Er sah, daß mir nichts geschehen war, und wartete nicht auf eine Antwort. Die Matratze hob sich, und plötzlich fiel ein breiter Streifen Mondlicht durch die Tür. Er rannte so geräuschlos, daß ich die Schritte seiner Füße nicht hören konnte, doch ich glaubte ihn vor mir zu sehen, wie er sich an die Wand des Abstellplatzes preßte und vorsichtig um die Ecke spähte. Ich lag noch immer reglos und starrte wie gelähmt auf das zerbrochene Fenster,
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