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Der Spion der mich liebte

Titel: Der Spion der mich liebte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Fleming
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unruhige Nacht vor mir hatte. Es störte mich nicht. Ich habe keine Angst vor dem Gewitter. Obwohl ich wußte, daß sich im Umkreis von fünfzehn Kilometern keine menschliche Seele in meiner Nähe befand, spürte ich bei dem Gedanken an das Ächzen der Fichten, den Donner, die Blitze und den Regen ein Vorgefühl warmer Geborgenheit. Und ich war allein! »Das Alleinsein wird zum Geliebten, die Einsamkeit zur liebsten Sünde.« Wo hatte ich diesen Satz gelesen? Er traf so genau den Kern meiner Empfindungen, das Gefühl, dem ich mich schon als Kind hingegeben hatte, bis ich mich selbst gezwungen hatte, »mit den Wölfen zu heulen«, kein »Spielverderber« zu sein. Und wie hatte ich bei meinen Bemühungen Schiffbruch erlitten! Ich zuckte die Achseln, um die Erinnerung an mein Versagen zu verscheuchen. Nicht jeder ist dazu geschaffen, mit dem Strom zu schwimmen. Künstler sind einsame Menschen. Auch Staatsmänner und Generäle. Aber das mußte ich um der Gerechtigkeit willen hinzufügen, Verbrecher und Wahnsinnige sind es auch. Sagen wir einfach, daß wahre Einzelwesen einsam sind. Das ist keine Tugend - eher eine Untugend. Will man ein nützliches Mitglied der menschlichen Gesellschaft werden, muß man fähig sein, teilzuhaben und sich mitzuteilen. Daß ich mich so viel glücklicher fühlte, wenn ich allein war, mußte das ein Zeichen einer defekten Persönlichkeit sein. Ich hatte mir das in den letzten fünf Jahren so häufig vorgehalten, daß ich jetzt einfach die Achseln zuckte und, das wohltuende Gefühl meiner Einsamkeit voll auskostend, das große Vestibül durchquerte, um einen letzten Blick hinauszuwerfen. Ich hasse Fichten. Sie sind düster und starr. Man kann unter ihnen keinen Schutz suchen und man kann sie nicht besteigen. Sie sind voll schwarzen Schmutzes, den man an anderen Bäumen nicht findet, und wenn sich dieser Schmutz mit ihrem Harz mischt, bekommt man ganz schmierige Finger. Ihre zackigen Formen wirken feindselig, und wenn sie so dicht aneinander gedrängt stehen, sehe ich in ihnen ein Heer feindlicher Lanzen, das mir den Weg versperrt. Nur eines mag ich an ihnen: ihren Geruch. Wenn immer es möglich ist, streue ich Fichtennadelsalz in mein Bad.
    Hier, in den Adirondacks, war der Anblick endloser Fichtenwälder entschieden deprimierend. Jedes Fleckchen Erde in den Tälern haben sie sich erobert, dehnen sich bis zu den Gipfeln der Berge, so daß für das Auge der Eindruck eines mit unzähligen Spitzen durchsetzten Teppichs entsteht, der sich bis zum Horizont ausbreitet - eine unendliche Weite tiefgrüner Pyramiden, die darauf warten, gefällt und zu Streichhölzern, Kleiderbügeln und Millionen von Exemplaren der New York Times verarbeitet zu werden.
    Etwa fünf Morgen dieser unsympathischen Bäume sind abgeholzt worden, um Platz für das Motel zu schaffen. Eigentlich dürfte ich gar nicht mehr Motel sagen, denn man hat jetzt in Amerika neue Ausdrücke dafür geprägt, da man das Wort Motel hier unwillkürlich mit Prostitution, Gangstern und Mordfällen in Verbindung bringt, für die sich ja diese Autohotels als recht geeignet erwiesen haben. Der Platz des Motels war gut gewählt, um Touristen und Urlauber anzulocken. Es stand an der Landstraße, die sich durch den Wald schlängelte und Glen Falls im Süden mit dem Lake George verband. Etwa auf halbem Weg lag ein kleiner See mit dem romantischen Namen Dreamy Waters, einem beliebten Ziel für Picknicks und Tagesausflüge. Am Südufer dieses Sees hatte man das Motel erbaut. Von der Empfangshalle aus hatte man den Blick auf die Straße. Dahinter, in einem flachen halbkreisförmig angelegten Bau, befanden sich die Gästezimmer. Insgesamt waren es vierzig Zimmer mit Küche, Duschraum und Toilette und Blick auf den See. Das ganze Projekt war nach Plänen geschaffen, die dem letzten Schrei entsprachen - die Wände getäfelt, die Dächer aus schweren Fichtenbalken, Klimaanlage und Fernsehapparat in jedem Zimmer, Kinderspielplatz und eigenes Schwimmbecken. Im Hauptgebäude war ein kleines Selbstbedienungsrestaurant; Lebensmittel und Spirituosen wurden zweimal am Tag geliefert. Für ein Einzelzimmer zahlte man zehn, für ein Doppelzimmer sechzehn Dollar. Kein Wunder, daß die Eigentümer zu kämpfen hatten, wenn man bedachte, daß sie etwa zweihunderttausend Dollar Kapital hatten aufbringen müssen und die Saison nur von Juli bis Oktober dauerte. Wirklich voll war das Motel eigentlich nur vom 14. Juli, dem Unabhängigkeitstag, bis zum Labor Day, der immer auf

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