Der Spion der Zeit
lächelte. Er erwiderte etwas, das sie ebenfalls nicht hören konnte, und um nicht für neugierig gehalten zu werden, wandte sie sich ab.
Schweigend liefen sie nebeneinander her zu Van Upps Büro. Kurz bevor sich ihre Wege trennten, erlaubte sich Nora die Frage: »Haben Sie noch etwas aus ihm herausbekommen?«
»Ich habe ihn gefragt, ob es sich lohnt.«
»Was?«
»Sich für einen anderen zu opfern. Ob es ihm was gebracht hat«, sagte Van Upp.
Er ließ die Tür halb offen und setzte sich an seinen Schreibtisch. Mehr wollte er offensichtlich nicht preisgeben.
»Und was hat er geantwortet?«, hakte Nora nach.
»Er hätte sich noch nie in seinem Leben besser gefühlt. ›Mein Opfer war nicht umsonst‹, hat er gesagt. Ich habe ihn gefragt, warum, und er hat gesagt, während wir mit seiner Befragung unsere Zeit verplemperten, würde der wahre Mörder frei herumlaufen, sich ins Fäustchen lachen und in aller Ruhe Moliners Tod vorbereiten.«
Van Upp saß auf der Kante seines Bürosessels, eine blaue Ader pochte auf seiner breiten Stirn. Sein Körper wirkte angespannt, als wollte er jeden Augenblick wieder hochschnellen, doch schließlich ließ er sich in den Sessel und in die Dunkelheit zurückfallen, wie eine Blüte, die sich schließt.
Schweigend verließ Nora sein Büro und zog die Tür hinter sich zu.
XX
»Wenn jemand erfährt, dass ich Ihnen helfe, bekomme ich Ärger«, sagte Dumont. Er trug einen Stapel Mappen, der ihm bis zum Kinn reichte.
»Sind das die Akten?«, fragte Benet.
»Alles, was ich über den Zwischenfall an Kai 17 gefunden habe.«
Benet hatte keinen eigenen Schreibtisch. Wenn er für sich sein wollte, zog er sich in irgendein Büro zurück, ohne um Erlaubnis zu bitten. Und niemand belästigte ihn.
Er schlug die erste Mappe auf. Dumont hatte die Seite mit einem farbigen Zettel markiert. Kommissar X bewertete die vom Informanten dieser Abteilung gelieferte Information bezüglich der Anwesenheit des Hauptverdächtigen in einem Privatgebäude am Hafen von Santa Clara positiv. Mit der Präfektur und dem Geheimdienst abgestimmter Einsatz zur Ermittlung wegen Schmuggels im erwähnten Gebäude.
Dumont stand immer noch neben dem Schreibtisch.
»Ist noch was?«, fragte Benet.
»Ich frage mich, ob Sie mit den Einsatzcodes vertraut sind.«
Benet grummelte etwas in seinen Bart. Offenbar wusste der Junge, wen er vor sich hatte. Trotz seines Ranges hatte Benet in seiner gesamten Laufbahn noch nicht einen einzigen Bericht geschrieben. Wenn es darum ging, seine Erfolge aktenkundig zu machen, trat er das Amt immer an einen anderen Beamten ab, der seinen Bericht über den Tathergang in diese besondere Abart des juristischen Kauderwelschs und der Zahlencodes der Einsatzbefehle übersetzte.
Er kehrte zu den Akten zurück. »Vor dem Zugriff informierte der Kommissar über Funk über ein 2.2.5.«, lautete eine Anmerkung. Und eine andere: »Eine Rauchwolke machte die Mitteilung eines 3.1.3. erforderlich.«
»2.2.5. heißt Anwesenheit verdächtiger Personen, vermutlich bewaffnet«, sagte Dumont. »Und 3.1.3 ….«
»Halten Sie den Mund. Haben Sie etwas über den Lehrer herausgefunden?«
»Miguel Angel Urquiza? Bei Interpol liegen keine Daten über seinen Aufenthaltsort vor. Ich kann sie bitten, noch mal nachzuhaken, aber dann muss ich genauer begründen, warum ich das wissen will …«
»Der Kerl ist nicht koscher«, sagte Benet lediglich. »Wie alle Priester, Lehrer und Künstler.«
Der Sergeant widmete sich wieder dem Bericht. Es fiel ihm schwer, sich auf den Text zu konzentrieren. Da er gar nicht recht wusste, wonach er suchte (der Polizeichef hatte ihm bloß gesagt, er solle den Zwischenfall am Kai mal genau unter die Lupe nehmen, dort läge womöglich der Auslöser für Van Upps Absturz), spielte seine innere Unruhe ihm einen Streich; wahllos übersprang er manche Sätze und blieb an anderen hängen. Aus den einzelnen Gedankenfetzen reimte er sich schließlich den Rest der Geschichte zusammen.
Keiner der Fälle, in denen Van Upp damals ermittelte, hatte mit der Euro-Bombay oder Schmuggel zu tun. Für Van Upp bestand nicht der geringste Grund, sich dort aufzuhalten. Als man die Schüsse im Inneren des Gebäudes hörte (niemand konnte bezeugen, dass diese Schüsse nach draußen abgefeuert wurden), stürmten die beiden Einheiten mit entsicherten Waffen und lautem Geschrei auf die Halle zu. Zwei Mitglieder der umzingelten Bande eröffneten vom Fenster aus das Feuer. Es gab einen kurzen Schusswechsel.
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