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Der Spion der Zeit

Der Spion der Zeit

Titel: Der Spion der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcelo Figueras
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auf.
    »Wenn Sie mich entschuldigen wollen …«
    Der Minister kam hinter der Barrikade seines Schreibtischs hervor, klopfte den beiden Männern auf den Rücken (bei Van Upp wäre es ihm auch schwergefallen, an die Schulter zu kommen) und geleitete sie zur Tür.
    »Herr Polizeichef, ich versichere Ihnen noch einmal, dass die Regierung Ihr Präsidium bei seinen Aufgaben voll und ganz unterstützen wird. Und seien Sie etwas nachsichtiger mit Ihrem Chefermittler«, sagt er, als wäre Van Upp nicht mehr im Raum. »Er ist erst seit kurzem mit dem Fall betraut. Soweit ich weiß, und ich bin gut informiert, hat er alles im Griff. Und vergessen Sie nicht, dass er gegen ein Gespenst kämpft. Wenn stimmt, was in den Berichten steht, ich meine, dass es bei den Verbrechen keinerlei Spuren gibt, dann kann der Mörder sehr wohl ein immaterielles Wesen sein. Van Upp? Alles in Ordnung?«
    »Ja, Herr Minister«, sagte Van Upp und rieb sich mit den Fingern die Stirn. »Es ist nur die Müdigkeit.«
    XVIII
    Der Lahme hieß Félix Rey Pantoja. Er war der uneheliche Sohn eines angesehenen Mannes, der ein Vermögen im Zuckergeschäft gemacht hatte. In seiner Jugend hatte er zur Marine gewollt, weil er gehofft hatte, so die Welt bereisen und vor allem die Kolonien in Asien kennenlernen zu können. Aber er war noch nicht einmal bis zum Ausfüllen des Aufnahmeantrags gekommen. Die Marine duldet keine Lahmen in ihren Reihen.
    Bei einer Handelsflotte hatte er mehr Glück. Als Offizier kam er nach China, schipperte drei Jahre lang über die Flüsse und transportierte Brennstoff von Zhaoqing nach Hesheng. Dort lernte er eine Gruppe ehemaliger Piraten kennen, die von Maos Regierung als Volkskommissare aufgenommen wurden.
    Nach seiner Rückkehr gründete er gemeinsam mit anderen die Revolutionäre Volkspartei. Die Partei sah in der Gewalt den einzigen Weg, die formelle Demokratie zu stürzen und eine Regierung einzusetzen, die die Klassengesellschaft endgültig abschaffte. Aber ihr Ruf wurde von der Arbeiterklasse, an die er sich gerichtet hatte, nicht erhört; lediglich bei einer Gruppe junger Leute aus privilegiertem Elternhaus fand er ein Echo, die Opfer derer, die ebenfalls auf die verändernde Kraft der Gewalt gesetzt und gewonnen hatten: der Prätorianer.
    Nach der Wiedereinführung der Republik kehrte Pantoja aus seinem Exil auf der Insel Hainan zurück. (Es war ihm nicht schwergefallen, während der blutigen Zeiten als blinder Passagier im Bauch eines Frachters zu fliehen; während der Jahre des Exils hatte er eine kleine Flotte von Perlenfischern unterhalten.) Er stellte fest, dass aus der Revolutionären Volkspartei die Demokratische Revolutionspartei geworden war, die den Mummenschanz garantierte, auf den das System sich gründete: freie Wahlen, Gewaltenteilung, Einhaltung der Gerichtsentscheidungen. Pantoja war klar, er musste wieder die Rolle des Querulanten spielen, die schon Teil seiner Persönlichkeit war.
    Er stellte jeden Kniefall der Partei in Frage. Und als die Prätorianer freigesprochen wurden und in ihre trauten Heime zurückkehrten, glaubte er, dass die Geschichte ihm recht gab. Er sagte, wenn es ein Machtvakuum gebe, müsse man ausziehen und sich diese Macht holen, und wenn es ein Justizvakuum gebe, bleibe einem nichts anderes übrig, als es selbst zu füllen.
    Diese Initiative wurde durch die Parteibürokratie erst einmal ausgebremst und bis zur nächsten Abstimmung vertagt. Der Antrag, ihn aus den eigenen Reihen auszuschließen, nahm die Hürden schneller. Dass er nicht durchkam, lag daran, dass Pantoja die Partei mit seinem Geld aus dem Perlenhandel finanziell unterstützte und dass niemand seinen prahlerischen Drohungen Glauben schenkte.
    Zumindest bis jetzt.
    Nadal fand ihn innerhalb weniger Stunden. Er schien für die Aufgabe geboren, eine schräge Gestalt im geschlossenen Umfeld der Stadt aufzuspüren.
    Pantoja hatte eine heruntergekommene Bude in Luro gemietet, wo sich das Cienfuegos befand: im zweiten Stock, Zutritt über eine Treppe. Die Uniform war die Erinnerung an seine Zeit bei der Handelsflotte und zugleich eine Verkleidung. Ein guter Trick: Die Suche nach einem hinkenden Seemann würde die Ermittler in eine Sackgasse führen. Aber Ciro Chomón, der Wirt des Cienfuegos, war darauf nicht hereingefallen. Pantoja hatte ihm für einen echten Seemann einen viel zu gebildeten Eindruck gemacht.
    Als Nadal auf der Liste an Verdächtigen mit politischem Hintergrund (eine lange Liste, die sich seit der Prätorianerzeit

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