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Der Spion der Zeit

Der Spion der Zeit

Titel: Der Spion der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcelo Figueras
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im Polizeiarchiv befand; die demokratische Regierung machte sich gern die »Errungenschaften« des alten Regimes zunutze) nach einem Lahmen gesucht hatte, war sogleich Pantojas Name aufgetaucht.
    Van Upp hatte eine Rund-um-die-Uhr-Bewachung angeordnet, für die nur die besten Männer abgestellt werden sollten. Pantoja besaß Erfahrung darin, sich dem Gesetz zu entziehen, und äußerste Diskretion war geboten.
    Als er wenige Stunden später Radio hörte, musste er feststellen, dass seine Vorsichtsmaßnahmen vergeblich gewesen waren.
    Der Polizeichef hatte die Presse zusammengetrommelt, um sie über die bevorstehende Verhaftung von Félix Rey Pantoja, siebenundvierzig Jahre, bekannter Terrorist und Hauptverdächtiger in den Mordfällen Ferrer, Abellán und Prades, zu informieren. Und obwohl es sich um eine sensationelle Nachricht handelte, klang er nicht, als ob er frohlocke. Er wusste, wenn die Anklage gegen Pantoja in sich zusammenfiel, hatte er die Last der Verantwortung zu tragen. Es gab schon einen Grund dafür, dass er auf dieser Pressekonferenz, bei der der Minister sich nicht blicken ließ, das Wort führen durfte.
    Als er hörte, wie der Polizeichef betonte, dass die Vertreter der Demokratischen Revolutionspartei das Vorgehen ihres Mitgliedes bedauerten, wurde Van Upp klar, dass der Minister die erwähnten Nachforschungen angestellt hatte, und zwar mit Erfolg. Nach dem Polizeichef verkündete der Parteisekretär Pantojas Ausschluss aus der Partei und sagte, auch wenn man die Forderung nach einer effektiven Rechtsprechung in gewisser Weise nachvollziehen könne, die der Ausgeschlossene durch seine Taten zum Ausdruck bringen wollte, könne man seine Methoden nur bedauern, die in ein Land gehörten, das längst in den Trümmern der Vergangenheit begraben war. (Im Eifer des Gefechts ging die Geschmacklosigkeit des Bildes völlig unter.)
    Zwei Stunden später erreichte Félix Rey Pantoja in Ketten, eskortiert von zwanzig Polizisten mit Gewehren (die Szene war eigens für die Fotografen gedacht), die Treppe des Polizeipräsidiums, diesen Splitter am Meer, im Volksmund El Acantilado genannt.
    XIX
    Dumont befand sich allein im Verhörraum, als Pantoja von zwei Polizisten hereingeführt wurde, die ihn zu seinem Stuhl brachten (die Fußfesseln zwangen ihn zu kurzen Trippelschritten) und sich dann wortlos zurückzogen. Dumont legte sein Jackett ab und krempelte die Ärmel hoch, er wollte sein Gegenüber durch Körperkraft beeindrucken und andeuten, dass er kein Problem damit hätte, sich notfalls die Hände schmutzig zu machen. Pantoja zeigte jedoch keine Regung. Schweigend saß er da und starrte ins Nichts, als wäre er allein im Raum.
    Van Upp erschien zwanzig Minuten darauf in Begleitung von Nora. Wäre er auch nur eine Minute später eingetroffen, hätte Dumont der Versuchung nachgegeben und mit der Befragung bereits begonnen; er brannte vor Neugier.
    Auf Van Upps Anweisung hin hatte Nora die Jalousien heruntergelassen. Erst als der Raum im Halbdunkel lag, betrat er ihn. Er nahm einen Stuhl und platzierte ihn direkt vor Pantoja.
    Van Upp setzte sich und musterte Pantoja wie ein kritischer Käufer die Ware. Seine Gehbehinderung war in der Tat gravierend. Der rechte Schuh fiel sofort auf (die Sohle dort war mindestes fünfzehn Zentimeter hoch, am linken höchstens fünf), doch unübersehbar waren beide Gliedmaßen von der Erkrankung betroffen: Schienbein und Wadenbein schienen im Verhältnis zum Oberschenkelknochen verkürzt. Es braucht nicht viel, um sich vorzustellen, welche Auswirkungen solch ein Gebrechen auf die Psyche hatte, selbst dann, wenn man sich darauf eingestellt hatte.
    Pantojas Hände sprachen Bände. Kräftige Knochen, flache Fingerkuppen, unregelmäßige Nägel als Folge von Verletzungen und bizarr verwachsenen Narben. Sie hatten mehr mit Werkzeugen gemein als mit normalen Händen. Reglos und im Abstand, den ihnen die Handschellen aufzwangen, lagen sie auf seinem Schoß.
    Van Upp nahm die Sonnenbrille ab, bevor er dem Verdächtigen ins Gesicht sah. Pantoja hielt seinem Blick stand. Auch wenn ein Großteil seines Gesichtes unter dem Bart verborgen war, konnte Van Upp die Abfolge seiner Gefühle genau darin ablesen: Verachtung, gefolgt von provokantem Trotz, schließlich Verwirrung; Pantoja fing an zu blinzeln und schaute hilfesuchend zu den anderen Beamten. Am Ende gab er auf. Pantoja sah in Van Upp nicht länger das Objekt seiner Verachtung, den Schergen der etablierten Macht, seinen möglichen Henker,

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