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Der Spion der Zeit

Der Spion der Zeit

Titel: Der Spion der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcelo Figueras
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Neugierig betrachtete er das Sprühfläschchen und fragte, ob es sich um Gift handelte. Ich gab ihm keine Antwort. Er hakte nach: Eine andere Art chemischer Waffe? Ein einfaches Schlafmittel?
    Mein Schweigen irritierte ihn nicht. Als er feststellte, dass aus mir nichts herauszubekommen war, richtete er das Fläschchen auf die Schnauze eines der Hunde und sprühte.
    Der Hund fiel zu Boden wie ein Stein. Moliner kniete neben ihm nieder und tastete seine Seite ab. Das Tier atmete tief und rhythmisch.
    Ich stand bereits wieder und wich Richtung Tür zurück.
    Moliner ahnte, was ich vorhatte. Er zeigte mir die Zähne.
    Aber er tat nichts, um mich aufzuhalten. Er hätte mich mit dem Sebrepticium einsprühen können. Er hätte die Hunde auf mich hetzen können. Aber nein. Wie eine Schlange wand ich mich davon, ich nahm meinen Koffer, hinkte zum Eingang, passierte das Gittertor. Ich schaute kein einziges Mal zurück; ich war überzeugt, ich würde ihn dort sehen, am Fenster, ein schwarzer Teufel mit gleichförmigen Zähnen, der mir einen letzten Gruß auf meinem rasanten Weg in die Arme des Grauens mitgab.
    Es war keine Unachtsamkeit seinerseits. Er wusste genau, was er tat.
    Seit ich das Sebrepticium verloren hatte, war mir klar, dass der Henker recht hatte. Die exquisite Rache, die ich glaubte den Prätorianern angedeihen zu lassen, würde sie lediglich zu heiligen Märtyrern machen. Durch mein Intermezzo waren sie zu Opfern brutalster Gewalt geworden, zu Opferlämmern, die sich der Opferung durch einen Sadisten nicht widersetzt hatten. Durch mein Intermezzo hatte ich sie von dem gesellschaftlichen Tod erlöst, der nach der Amnestie ihre einzige Strafe war: Niemand wagt es, einem Opfer Verachtung entgegenzubringen. Durch mein Intermezzo hatte ich dem Kampf derjenigen, die geliebte Menschen verloren hatten, den Dolchstoß versetzt; man sah sie wieder als Verrückte an, die etwas verteidigten, das man unmöglich verteidigen konnte.
    Das ist die Hölle, deren Tore Moliner mir geöffnet hat. Die Hölle der Wahrheit. Es gab keinen Schleier mehr zwischen meinem Schmerz und meinem Schicksal, meinem Handeln und seinen Konsequenzen. Ich hätte den Prätorianern keinen größeren Dienst erweisen können, wenn ich für sie gearbeitet hätte. Deshalb hatte Moliner mich entkommen lassen. Das war seine Art, mir meine dreißig Silberlinge zurückzuzahlen.
    Ich bin tot. Das erste Mal starb ich, als man meinen Sohn holte. Das zweite Mal, als ich ihn beschämte, indem ich in den Armen des Henkers einknickte. Und ich starb ein weiteres Mal, als ich von Prades’ Tod erfuhr. Ich selbst leitete die Autopsie, wie Sie wissen. Seine inneren Organe zerfielen, wenn man sie berührte; sie hörten sich an wie verkohltes Papier, das zerbröselt. So klingen die Organe von Menschen, denen man zu viel Sebrepticium verabreicht hat; ich glaube, das sagte ich bereits.
    Wenn mir noch ein Beweis dafür fehlte, dass mein Werk schlecht war, dann hatte ich ihn jetzt vor mir, in Gestalt von Prades’ vergiftetem Leichnam. Mein Werk war diabolisch, und Moliner setzte es fort.
    Ich bin tot, mein lieber Van Upp. In dem Punkt kann ich nicht irren: Ich bin Gerichtsmediziner. Ein Gerichtsmediziner ist ein Arzt, der immer zu spät kommt. Mein Fehler bestand darin, mich nicht auf meinen Beruf beschränkt zu haben, das Einzige, was ich in diesem Leben gut gemacht habe. Wie üblich kam ich zu spät, um meinen Sohn zu retten, aber ich wollte die Zeit noch einmal zurückdrehen. So ist es mir ergangen.
    Ich schreibe diese Zeilen, weil ich Sie um einen Gefallen bitten möchte. Derselbe, um den ich Sie schon im Parkhaus im Polizeipräsidium bitten wollte, als wir uns das letzte Mal sahen.
    Ich bitte Sie darum, etwas zu tun, damit mein Handeln nicht denjenigen schadet, die größte Achtung und Rücksicht verdient haben. Ich weiß, dass Sie die Greueltaten der Prätorianer nicht direkt erlebt haben: Während des Regimes hatten Sie das seltene Glück, fern von dieser Welt zu weilen. Betrachten Sie es als Segen. Vielleicht lässt meine Odyssee Sie kalt, vielleicht rührt Sie das alles nicht; auch das würde ich verstehen. Aber denken Sie an all diejenigen, die, gebeutelt von der überirdischen Schlechtigkeit der Moliners dieser Welt, heute weder Liebe noch Gerechtigkeit erleben. Denken Sie an die, denen nichts geblieben ist, außer ihrer Würde; die Würde, die ich gerade dabei bin ihnen für immer zu nehmen.
    Vergessen Sie mich. Begraben Sie meine Erinnerung tief, dort, wo kein

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