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Der Spion der Zeit

Der Spion der Zeit

Titel: Der Spion der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcelo Figueras
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er in der Öffentlichkeit gestanden hatte, nie hatte lächeln sehen. Zum ersten Mal fiel mein Blick auf seine Zähne. Sie waren alle exakt gleich groß.
    Es lief mir eiskalt über den Rücken. Moliner schob sich einen konischen Gegenstand in den Mund, so dass ich sein Gebiss nicht mehr sehen konnte. Für einen Augenblick fand ich meine Fassung wieder und verspürte keine Furcht mehr.
    Es handelte sich um eine Pfeife, deren Frequenz nur Tiere hören können. Sekunden später kamen drei Hunde in das Arbeitszimmer, sie trotteten an mir vorbei, als würde ich nicht existieren, und legten sich ihm zu Füßen. Es waren sabbernde Bulldoggen mit Augen wie schwarze Felsen.
    Da fragte er mich, was mich zu dem Entschluss geführt hätte, es zu tun. Ich erwiderte, ich wüsste nicht, was er meinte.
    »Beleidigen Sie meine Intelligenz nicht«, sagte er. »Sie sind nicht wegen Abellán oder Ferrer hier. Sie sind hier, um Ihren Sohn zu rächen, Lucas Carranza.«
    Es hatte keinen Sinn zu lügen. Ich sagte, ich hoffte, dass Lucas stolz auf mich sei.
    »Oh«, sagte er, »wenn Sie wüssten, wie sehr Sie sich irren.«
    Und er zeigte mir wieder dieses Lächeln, das mich an eine afrikanische Maske erinnerte. Ich kam nicht dazu, zu fragen, was er damit meinte. Noch bevor ich den Mund aufmachen konnte, fragte er, ob ich einen Unterschied bemerkt hätte.
    »Ich meine«, sagte er, »was Sie fühlten oder nicht fühlten, nachdem Sie getötet hatten. Hat es Ihren Schmerz gelindert? Kann Rache heilen oder zumindest betäuben?«
    Ich begriff, dass hinter den Fragen keine moralistische Absicht steckte. Sein Interesse war echt.
    Ich sagte, er solle mich das noch einmal fragen, wenn ich meine Aufgabe beendet hätte.
    Er lachte. Das kränkte mich.
    Sobald man mich eingesperrt hätte, sagte er, brauchte er sich nur noch zurückzulehnen und abzuwarten. Ich erledigte für ihn gerade das, was weder der Amnestie noch der Presse noch dem Geheimdienst gelungen war: ihn wieder zu einem normalen Bürger zu machen. Durch meinen Angriff hätte ich ihn zum Opfer gemacht. Und die Sympathie der Öffentlichkeit gelte immer den Opfern, sagte er.
    Außerdem zeigte ihm die Grausamkeit meines Vorgehens, dass die Prätorianer sich nie getäuscht hätten: Der andere, der Feind war gefährlich und musste in seine Schranken verwiesen werden. Das Bemühen der Angehörigen der Opfer, das Gesetz zu respektieren, selbst wenn es sie benachteiligte, der Glaube an die letzte Wahrheit ihrer Forderung, diese Loyalität gegenüber den demokratischen Umgangsformen, durch die sie sich vom Monster unterschieden, das sie denunzierten, all das sei durch meine Taten mit einem Handstreich ausgelöscht worden.
    »Nicht, wenn ich das vermeiden kann«, sagte ich und machte einen Schritt nach vorn.
    Die Bulldoggen hoben bedrohlich den Kopf.
    Der Henker lachte wieder.
    Seine Verachtung war mir inzwischen gleichgültig. Ich musste nur noch einen Schritt näher an ihn heran.
    In der Tasche meines Jacketts befand sich das Fläschchen mit dem Sebrepticium.
    XV
    Er fragte mich, wieso ich ausgerechnet diese Tötungsarten gewählt hätte. Die Anspielungen auf die Bibel seien ihm völlig klar, aber trotzdem verstehe er nicht, was ich damit beabsichtigte.
    Ich erwiderte, ich hätte versucht, ihre Herzen mit Gottesfurcht zu erfüllen.
    Ich musste Zeit gewinnen. Kaum merklich schob ich meine Füße Zentimeter für Zentimeter weiter nach vorn.
    Er wollte wissen, was ich für ihn vorbereitet hätte. Welche Art von Tod. »Welch biblischen Schrecken Sie für mich vorbereitet haben«, lauteten seine exakten Worte.
    Ich zeigte auf den Koffer. Er bedeutete mir, ich solle ihn ihm geben.
    Ich ergriff ihn mit der linken Hand und ging auf ihn zu. Das war meine Chance.
    Ich stellte mich ungeschickt an. Irgendetwas an meinen Bewegungen, meinem Gesichtsausdruck, meinen Augen verriet ihm, was ich im Sinn hatte. Es gelang mir gerade noch, das Fläschchen aus der Tasche zu ziehen, aber das war’s auch schon.
    Sekunden später rollten wir über den Boden, während die Bulldoggen wie verrückt bellten, ohne jedoch anzugreifen.
    XVI
    (An dem Punkt des Briefes fragte sich Van Upp, wie viele Schicksale durch diesen ungeschickten Kampf zwischen zwei alten Männern wohl besiegelt worden waren.)
    XVII
    Er verdrehte mir das Handgelenk, und das Sprühfläschchen fiel zu Boden. Einer der Hunde stürzte sich darauf wie auf eine lebende Beute, der man hinterherjagen muss.
    Moliner begriff, dass damit der Kampf für mich beendet war.

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