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Der Spion und der Analytiker

Der Spion und der Analytiker

Titel: Der Spion und der Analytiker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liaty Pisani
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vor zwei Tagen. Ich konnte ihm nichts sagen, aber selbst wenn ich irgend etwas wüßte, hätte ich einem Privatdetektiv gewiß nichts erzählt«, schloß er nachdrücklich.
    »Ja, gewiß«, stimmte Ogden beflissen zu, »ich hatte ihn engagiert. Leider war er schon vor mir hier, was gegen meine Absicht war, entschuldigen Sie bitte. Ich weiß genau, wie sehr meine Schwester Sie schätzt, und ich wollte Sie persönlich von dem Geschehen unterrichten. Hat sonst noch jemand nach Alma gefragt?«
    Weisser nickte.
    »Heute morgen kam sehr früh ein Anruf. Mein Sekretär hat ihn entgegengenommen. Ein gewisser Doktor, an dessen Namen ich mich nicht mehr erinnern kann, hat heute nach mir gefragt. Sie müssen entschuldigen, mein Gedächtnis ist leider auch nicht mehr wie früher. Dieser Herr wollte wissen, ob ich im Hotel sei. Victor hat das bejaht und gesagt, daß ich jetzt gerade nicht ans Telefon kommen könne. Er hat geantwortet, daß dies keine Rolle spiele, da er im Laufe des Vormittags nach Baden käme, um mit mir zu sprechen; er habe nur angerufen, um sich zu versichern, daß ich da sei. Aber dann«, fügte er verwundert hinzu, »ist niemand erschienen. Möchten Sie, daß ich Victor rufe, damit er mir den genauen Namen sagt?«
    »Dafür wäre ich Ihnen sehr dankbar. Verstehen Sie, jede Spur kann nützlich sein …«, sagte Ogden traurig.
    Weisser nickte. Nach ein paar Minuten klopfte es diskret an die Tür, und Victor trat ein.
    Weissers Sekretär war ein mit Schuppen behafteter Schönling um die dreißig. Sein erstklassig geschnittener anthrazitgrauer Anzug wurde durch eine Rosenknospe belebt, die in seinem Jackenaufschlag steckte. Er wirkte recht anziehend: sein Blick aus den langwimprigen dunklen Augen verschwamm geradezu vor Anzüglichkeit. Er sah Ogden vielsagend an.
    »Kommen Sie herein, Victor, ich möchte Sie mit dem Bruder von Frau Lasko bekannt machen«, sagte der Alte.
    Der Sekretär drückte Ogden kräftig die Hand.
    »Sehr erfreut. Ihre Schwester ist einer unserer Stammgäste«, sagte er und rollte dabei das R auf eine Weise, die Ogden abstoßend fand.
    »Ich kann ihre Wahl nur zu gut verstehen, das Gutenbrunn ist ein wunderbares Hotel.«
    Der Sekretär nickte erfreut, als habe das Kompliment ihm gegolten.
    »Victor«, mischte sich Weisser ein, »können Sie sich noch an den Namen des Herrn erinnern, der heute früh nach mir gefragt hat?«
    »Natürlich«, erwiderte er entrüstet ob des Verdachts, er könne etwas vergessen haben. »Es war ein Arzt, ein gewisser Dr. Guthrie aus Wien. Er hatte angekündigt, heute vormittag nach Baden zu kommen, aber dann ist er doch nicht aufgekreuzt.«
    Der Direktor sah auf die Uhr.
    »Es ist fast zwölf, dürfen wir Sie als unseren Gast zum Mittagessen hier behalten, Mr. Ogden?«
    »Danke, ich wäre gern hiergeblieben, aber ich habe leider eine Verabredung. Ein anderes Mal gern, und dann – wie ich hoffe – zusammen mit Alma.«
    Als Ogden das Gutenbrunn verließ, schlug es von einem nahen Kirchturm zwölf; der Wind hatte die Wolken am Himmel vertrieben, die Sonne kam wieder zaghaft hervor. Milde Wärme begleitete ihn auf der ganzen Rückfahrt, aber eben auch die quälende Sorge um Guthries Schicksal.
     
     
    Veronica Mantero betrat das Sacher Punkt eins. Ogden war noch nicht da. Sie wählte einen strategisch günstigen Tisch, von dem aus sie den Eingang beobachten konnte, und steckte sich eine Zigarette an.
    Sie sah sich in dem großen Spiegel an der gegenüberliegenden Wand und war mit ihrem Anblick zufrieden; der neue Haarschnitt stand ihr gut und verlieh ihr ein Aussehen, das dem jenes Mädchens sehr glich, das sie vor neun Jahren gewesen war. Die Angst schlug ihr auf den Magen, die Zigarette schmeckte bitter, sie drückte sie so energisch aus, daß sie im Aschenbecher zerplatzte.
    Sie sah auf die Wanduhr, es war zehn nach eins. Sie überlegte, ob sie nicht noch einmal weggehen und später wiederkommen sollte, rührte sich aber nicht vom Fleck.
    Sie versuchte, sich zu entspannen. Zu viele Tage lebte sie nun schon in Angst und sah überall nur Feinde. Als sie Ogden am Vorabend ins De France hatte gehen sehen, war sie nicht aus der Oper gekommen, sondern aus dem letzten Hotel, in das sie sich geflüchtet hatte, getreu der Anweisung Laskos, sich an keinem Ort lange aufzuhalten.
    Als sie Ogden im Licht des nächtlichen, frühlingshaften Wien wiedererkannte, dachte sie zuerst an ein Wunder, dann an eine Intrige. Erst nach zwei bangen Stunden hatte sie sich entschlossen, ihn

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