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Der Spion und der Analytiker

Der Spion und der Analytiker

Titel: Der Spion und der Analytiker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liaty Pisani
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im De France anzurufen.
    Sie hob den Blick und sah ihn. Er schien schon eine Weile lächelnd dazustehen. Veronica nahm die Sonnenbrille nicht ab, konnte aber vor lauter Wiedersehensfreude nicht auf dem Stuhl sitzen bleiben.
    Sie blieben einen Augenblick unentschlossen stehen, konnten sich nicht einfach umarmen. Dann setzte sie sich hin, und er machte es ihr nach.
    »Nimm bitte die Brille ab«, sagte er und duzte sie dabei zum erstenmal.
    »Du hast dich nicht verändert«, sagte sie und gehorchte.
    Er beugte den Kopf und betrachtete sie, wie ein Kunsthändler ein Gemälde betrachtet.
    »Du auch nicht«, meinte er leise, ohne seinen Blick von ihr zu wenden. »Du bist schön, wie vor neun Jahren, nein, noch schöner. Ich bin überglücklich, dich wiederzusehen.«
    Ein Kellner näherte sich mit der Speisekarte. Sie schwiegen, bis er sich mit der Bestellung entfernt hatte.
    Veronica wußte nicht, was sie sagen sollte. Sie hatte alle Worte vergessen, die sie sich während des Wartens mühsam zurechtgelegt hatte.
    Erst in diesem Augenblick erkannte sie deutlich, daß sie nicht mehr die selbe Frau wie vor neun Jahren war, ebenso wenig wie er noch derselbe war, und bereute, mit ihm Verbindung aufgenommen zu haben. Würde sie ihn in diese Geschichte hineinziehen, war das ihre Absicht? fragte sie sich. Oder war er vielleicht der Mann, den sie geschickt hatten, um sie zu töten?
    »Wir haben uns soviel zu erzählen«, sagte er und hielt ihr eine Zigarette entgegen. »Willst du beginnen?«
    »Mein Mann ist gestorben.« Blieb nur noch offen, welcher Ehemann, dachte sie und kam sich lächerlich vor: wie so eine Art methodische Witwe.
    »Wann?«
    »Kurze Zeit darauf.«
    »Tut mir leid …«
    Der Kellner brachte die Vorspeise. Ogden schwieg und beobachtete, etwas am anderen Ende des Speisesaals.
    »Wie hast du dir dein Leben danach eingerichtet?«
    Sie zuckte die Achseln.
    »Ich habe wieder gearbeitet«, sagte sie gleichmütig. »Im Grunde habe ich gern Kleider entworfen. Eine Weile war ich eine recht erfolgreiche Designerin. Dann habe ich meinen Mann kennengelernt, habe geheiratet und bin nach Wien gezogen.«
    »Wie heißt du jetzt?«
    Veronica fühlte sich verloren, fing sich aber schnell wieder. Sie war Veronica Mantero, das durfte sie nie vergessen.
    »Mantero. Ich habe mich letztes Jahr von meinem zweiten Mann scheiden lassen und danach wieder Giulios Namen angenommen. Und du? Erzähl mir was von dir, bist du immer noch Antiquitätenhändler?«
    »Nein, seit ein paar Jahren verlege ich Kunstbücher. Ich bin beruflich in Wien.«
    Er ergriff ihre Hand, aber sie entzog sie ihm.
    »Was ist los mit dir, Veronica?«
    »Warum, sehe ich schlecht aus?«
    »Nein, du bist sehr schön; als lägen keine neun Jahre dazwischen. Aber irgend etwas ist los mit dir, und jetzt hast du Angst.«
    »Ich habe immer Angst gehabt, das müßtest du wissen. Ich habe dir vor neun Jahren unerwünschte Geständnisse gemacht, erinnerst du dich? Jedenfalls bin ich in Schwierigkeiten«, gestand sie.
    Er lächelte: »Nicht zum erstenmal …«
    »Ich brauche einen Ort, wo ich hin kann. Als ich dich gestern abend sah, kam ich nicht aus der Oper, sondern wieder einmal aus einem Hotel … kurz, ich bin geflüchtet.«
    Ogden lächelte nicht mehr. Er blickte sich rasch im Restaurant um. Alles war wie vor drei Minuten, auch der Mann im blauen Blazer, der drei Tische von ihnen entfernt saß.
    »Ich glaube nicht, daß ich dir helfen kann, wenn du mir nicht erzählst, was mit dir los ist.«
    »Ich brauche nur für einige Zeit einen sicheren Ort.«
    Ogden sah sie noch vor sich in jener Nacht, zusammengekauert wie ein Kind und den Kopf fast unter der Decke verborgen. Genau wie damals erschien sie ihm unergründlich und leidvoll, ein Wesen, vor dem man flüchten mußte.
    Sie hatte die Augen mit jener abweisenden zerstreuten Miene abgewandt, an die er sich so gut erinnerte.
    »Bist du in Gefahr?« fragte er wieder.
    Veronica fühlte, daß sie am Ende ihrer Kraft war. Sie sah zwei Tische weiter eine fette Frau mit der Gefräßigkeit eines Krokodils ein Beignet verschlingen. Die letzten Tage, die sie auf der Flucht vor einem unbekannten Verfolger verbracht hatte, hingen wie Blei an ihr. Sie kam sich vor wie eine Tote und begriff selber nicht mehr, wie sie sich auch nur hatte vorstellen können, ihr vergangenes Leben mit den nicht weniger verzweifelten Tagen der Gegenwart in Einklang zu bringen.
    Sie nickte und versuchte, möglichst gleichmütig zu blicken. Sie mußte eine

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