Der Spion und der Analytiker
bin davon nicht sehr überzeugt …«
»Aber Stuart, du wirst doch wohl nicht behaupten wollen, daß dieses Mädchen ein dreifaches Spiel im Auftrag einer anderen Person treiben könnte? Wir haben doch ein Dossier über sie, vergiß nicht, daß wir sie seit neun Jahren beobachten.«
Stuart schüttelte den Kopf.
»Wir beobachten seit neun Jahren eine Frau, weil unser bester Agent mit ihr ins Bett gegangen ist. Eine Sache, die tot und begraben war und ohne Folgen blieb. Die Frau wird Witwe, stellt eine schlimme Sache an und heiratet den Pharmahersteller, der sie aus dem Schlamassel geholt hat. Und dann stellt sich plötzlich heraus, daß Lasko in diese Geschichte verwickelt ist. Allzu viele Zufälle, wie gesagt.«
Casparius sah ihn voll Überdruß an.
»Du siehst die Existenz und die Menschen in deiner Begrenztheit immer nur ganz schematisch und hast keinen Blick für das wesentliche Detail. Ogden ist mit dieser Frau nicht nur ins Bett gegangen, sondern er hat sich auch in sie verliebt, er ist ein Romantiker, ohne es selber zu wissen. Aber das emotionale Verhalten unseres Parzivals, das uns bisher nicht wenige Sorgen bereitet hat, wird uns vielleicht gerade ermöglichen, diesen schwierigen Fall zu lösen. Du siehst die Nuancen nicht, Stuart: eine Geschichte ist niemals ›tot und begraben‹. Wenn du meinen Sessel anstrebst, mußt du deinen Horizont etwas erweitern und dich mehr der Lektüre widmen. Beschäftige dich mal mit dem östlichen Denken«, schloß Casparius und gab zu verstehen, daß die Unterredung damit beendet war.
In jener Nacht fand Guthrie keinen Schlaf. Er hatte sich lange in unruhigem Halbschlaf im Bett gewälzt, und dann beschlossen, wach zu bleiben. Er war aufgestanden und ins Wohnzimmer gegangen. Der Raum war von der Straßenbeleuchtung auf dem Platz erhellt. Er sah auf die kleine Pendeluhr über dem Kamin: es war kurz nach halb vier.
Ohne Licht anzumachen trat er ans Fenster; der Platz unter ihm war leer, in der stillen Nacht war nur das leise Gurgeln des Brunnens zu hören.
Er wollte gerade wieder ins Bett, als er in einem Auto auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes einen schwachen Lichtschein entdeckte.
Er konnte nicht erkennen, ob im Wageninnern jemand saß. Vielleicht hatte er die Flamme eines Feuerzeuges gesehen, oder aber sich getäuscht. Er setzte sich auf die Armlehne des Sessels und beobachtete das Auto lange Zeit; aber wenn dort tatsächlich jemand eine Zigarette angezündet hatte, schien er jetzt entschlossen, nicht mehr zu rauchen.
Guthrie trat vom Fenster zurück und ging, ohne Licht anzumachen, in die Küche, holte Eis aus dem Kühlschrank und machte sich etwas zum Trinken. Mit dem Glas in der Hand kehrte er ans Fenster zurück, und nun meinte er, jemanden auf dem Fahrersitz zu erkennen. Da beschloß er, Ogden im De France anzurufen.
Er nahm den Hörer ab, aber die Leitung war tot. Er drückte mehrmals die Gabel nieder, aber der Apparat blieb stumm. Er kehrte in sein Schlafzimmer zurück und zog sich hastig an. Er nahm den Garagenschlüssel, sein Scheckheft, die Travellerschecks, die Kreditkarten und alles Bargeld, das er besaß, warf einen letzten Blick in das Zimmer und ging dann möglichst lautlos zur Wohnungstür. Es herrschte völlige Stille, und er fragte sich, ob die Komplizen des Kerls im Saab schon im Treppenhaus waren. Er war froh über seine Schlaflosigkeit und seine Abneigung gegen Schlafmittel, aber er hatte nicht die geringste Ahnung, wie er aus dem Haus kommen sollte.
Als er gerade den Türriegel öffnen wollte, hörte er ein Geräusch. Er versuchte, blitzschnell alles zu bedenken: das Haus hatte drei Stockwerke, im Erdgeschoß lag seine Praxis, im ersten Stock seine Wohnung, und im zweiten Stock die der alten Frau Glass, die dank des Schlafmittels, das er ihr selber verschrieben hatte, jetzt ganz gewiß in tiefem Schlaf lag.
Das Geräusch wiederholte sich. Jemand kam langsam die Treppe herauf. Er hatte den Eindruck, daß der Unbekannte sich auf halber Höhe der ersten Stiegenrampe befand und also gerade an der Tür zur Praxis vorbei war. Er rechnete sich aus, daß der Mann, selbst wenn er mit äußerster Vorsicht weiterging, in weniger als einer Minute an seiner Tür sein würde. Er sah sich verzweifelt nach einer Waffe um, als sein Blick auf die Tür des Aufzugs fiel, der von seiner Wohnung direkt in seine Praxis führte.
Er schalt sich selbst einen Idioten. Er hatte den Aufzug seit Jahren nicht benutzt; der war schon dagewesen, als er
Weitere Kostenlose Bücher