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Der Spion und der Analytiker

Der Spion und der Analytiker

Titel: Der Spion und der Analytiker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liaty Pisani
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elegantes und sehr zentral gelegenes altes Hotel.
    Sie aßen eine Kleinigkeit an der Hotelbar und zogen sich dann todmüde in ihre Zimmer zurück. Als Guthrie endlich allein war, versuchte er sich zu entspannen und bestellte einen Whiskey sour, nach dem er ein deutliches Verlangen verspürte. Er war schon vor drei Jahren einmal zu einem internationalen Psychoanalytikerkongreß in dieser italienischen Stadt gewesen. Damals hatte sie ihm nicht gefallen, und nach dem wenigen zu urteilen, was er auf der Fahrt vom Flughafen zum Hotel gesehen hatte, war er überzeugt, daß sich daran auch diesmal nichts ändern würde.
    Es klopfte, der Kellner kam mit dem Tablett. Guthrie wußte nicht, wieviel Trinkgeld er geben sollte, und steckte dem Jungen ein paar Scheine zu. An seinem Lächeln erkannte er, daß er übertrieben hatte; er gab immer zu hohe Trinkgelder.
    Er blätterte in einer Zeitschrift, legte sie aber gleich wieder aus der Hand und beschloß, seinen automatischen Anrufbeantworter in Wien abzurufen, um zu kontrollieren, ob jemand eine dringende Nachricht hinterlassen hatte.
    Er wählte Vorwahl und Nummer, und auf das entsprechende Signal hin setzte sich der Anrufbeantworter in Gang. Nach einem gewissen Surren und Rauschen hörte er ihre Stimme mitten in einem Satz. Der Anfang der Nachricht war untergegangen.
    »… so habe ich beschlossen, dich anzurufen, auch wenn ich bis übermorgen nicht in Wien bin. Wir könnten uns am Donnerstag um sieben im Demel treffen, wie vor einem Jahr. Oh, Vincent, bitte sag ja, ich muß dich unbedingt sehen. Ich werde auf jeden Fall da sein, am gewohnten Tisch. Donnerstag um sieben. Ich liebe dich.«
    Der Anrufbeantworter klickte, weitere Nachrichten gab es nicht. Er legte den Hörer vorsichtig auf. Noch nach einem Jahr hatte ihn ihre Stimme in die gleiche Erregung wie damals versetzt. Es war Freude, was er empfand, reine Freude, da brauchte er sich gar nichts vorzumachen.
    Andererseits bereute er, in Wien angerufen zu haben: Veronica brauchte jetzt seine ganze Aufmerksamkeit, zu der er nicht fähig gewesen war, als sie bei ihm Hilfe gesucht hatte.
    Es klopfte, er machte auf und sah Ogden betrunken, mit ganz zerknittertem Gesicht vor sich stehen.
    »Entschuldigen Sie, es ist schon sehr spät, aber ich glaube, ich brauche Ihren professionellen Rat«, sagte er mit belegter Stimme.
    »Kommen Sie herein«, sagte Guthrie und schloß die Tür. »Fühlen Sie sich nicht wohl?«
    »Ich bin betrunken, aber sonst geht es mir gut«, sagte Ogden und setzte sich in einen Sessel.
    »Soll ich Ihnen einen Kaffee bestellen?«
    »Nein danke. Ich muß schlafen, deshalb habe ich getrunken.«
    »Trinken Sie häufig?«
    Ogden lächelte.
    »Ich bin ein perfekter Spion, haben Sie das vergessen? Ich habe praktisch keine Laster …«
    »Sie Glücklicher.«
    »Manchmal töte ich«, fuhr Ogden achselzuckend fort, »und ich habe eine Schwäche für Frauen. Leider hat die wegen der Seuche abgenommen; auf die Dauer wird es langweilig, mit den vom Geheimdienst ausgewählten Callgirls zu vögeln. Andererseits wäre es doch zu idiotisch, wegen einer Bettgeschichte zu sterben. Meinen Sie nicht auch?«
    Guthrie erwiderte nichts, er beschränkte sich darauf, sein Interesse zu zeigen.
    »Tatsache ist doch«, fuhr Ogden pathetisch fort, »daß es keine Liebe mehr gibt. Ich bin ja daran gewöhnt, aber wenn das nun so allgemein um sich greift, schwindet jede Begeisterung. Schuld daran ist nicht nur die Angst vor dem Tod«, sagte Ogden, ohne eine Antwort zu erwarten. »Denn so idiotisch es ist, wegen einer Bettgeschichte zu sterben, so idiotisch ist es auch, sich Herpes oder Filzläuse zu holen, wenn es die Sache nicht wert ist. Und es sieht doch ganz so aus, daß heute kaum noch etwas seinen Preis wert ist.«
    Guthrie saß Ogden gegenüber und bot ihm eine Gitanes an.
    »Ja«, stimmte er zu, »heute sollte man seiner Sache schon sicher sein. Wenn uns von einer Person, die wir nicht lieben, etwas aufgebürdet wird, finden wir das unerträglich, wenn dagegen jemand, den wir lieben, an unserem Unglück schuld ist, ertragen wir es bewundernswert. Sagen wir also, daß das Spiel heute seinen Einsatz wert sein muß.«
    Ogden nickte nachdenklich.
    »Wenn wir nach einem göttlichen Ratschluß allesamt an einem Iktus sterben würden, wäre es viel besser. Kein Leiden, kein Schmerz; der Tod müßte wie eine Abblende im Film sein. Meinen Sie nicht?«
    Guthrie lächelte.
    »Sie müßten doch an den Tod gewöhnt sein, Sie haben gewiß viele

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