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Der Spion und der Analytiker

Der Spion und der Analytiker

Titel: Der Spion und der Analytiker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liaty Pisani
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plötzliche Tode miterlebt, bei denen es keine Abblende gab …«
    Ogden schien belustigt.
    »Jetzt hat die Löwenpranke aber zugeschlagen, ihr Psychoanalytiker versetzt einem eure Hiebe immer dann, wenn man nicht darauf gefaßt ist. Das ist nicht fair …«
    »Der Überraschungseffekt«, sagte Guthrie. »Sie haben mir ja auch ein gutes Beispiel dafür geboten, als Sie diesen Killer ins Jenseits beförderten. So etwas kann einem manchmal das Leben retten.«
    »Na, mir bestimmt nicht, wenn es einmal soweit ist.« Ogden ging zur Kühlbar. »Unannehmbar ist die Krankheit, nicht der Tod«, murmelte er, als er mit dem Eis zurückkam.
    »Ganz richtig …«, meinte Guthrie, eine Bemerkung, die er oft auch bei den Sitzungen machte.
    Ogden ließ sich wieder in den Sessel fallen und füllte Eiswürfel in die Gläser.
    »In Genf habe ich gesehen, was Krankheit anrichten kann, und zwar nicht nur bei denen, die sie unmittelbar erleiden.«
    »Meinen Sie Alma?«
    »Wen denn sonst? Alma, Veronica, diese Genoveva, die ich in Genf geliebt habe. Aber Lancelot hat versagt, er ist in seinem rasselnden Kettenhemd geflohen.«
    Er goß sich reichlich Whiskey ein und trank ihn in einem Zug aus.
    »Ich habe getötet, wenige Male, und es hat mir nicht das geringste Vergnügen gemacht. Das ist in unseren Kreisen nicht so selbstverständlich, glauben Sie mir. Jedenfalls sind die, die ich sterben sah, schnell gestorben. Morgens sind sie aufgestanden, haben sich angekleidet und sind in die Welt hinausgegangen, ohne zu ahnen, daß dies ihr letzter Tag sein würde. Ihr letzter Kaffee, ihr letztes Taxi, ihre letzte Zeitung, alles zum letzten Mal. Ein sauberer und sehr gnädiger Akt. Aber das, was ich in Genf gesehen habe, war anders. Eine langsame und unanständige Sache: eine ewige, hoffnungslose Illusion.«
    »Das Leiden dieses Mannes hat Sie tief beeindruckt«, bemerkte Guthrie, der ihn aufmerksam beobachtete.
    »Ja, aber nicht nur das. Ich fand so furchtbar ungerecht, was mit dem Leben dieser beiden geschah: als hätten Mantero und Veronica eine enorm hohe Rechnung offen gehabt und wären gezwungen worden, ohne jeden Aufschub alles sofort bar zu bezahlen.«
    Ogden sah Guthrie in die Augen.
    »Ich bin in das Krankenhaus gegangen, natürlich nicht mit Veronica. Ich ließ mich dort als Techniker einführen, ein Anruf in Berlin genügte, um mir freien Zugang zu den Abteilungen zu verschaffen. Und in diesem Krankenhaus lernte ich so manches, was mich der gewaltsame Tod nicht gelehrt hatte.«
    Er hob seinen Blick und sah über Guthrie hinweg.
    »Dieser Mann lag in einem sterilen Zimmer, zu dem keiner Zutritt hatte, der nicht wie ein Astronaut verkleidet war. Das Zimmer hatte eine Glasscheibe zum Gang hin, und man kommunizierte mit dem Kranken nur über eine Sprechanlage. Unter dem Vorwand, in dem anliegenden Zimmer, das leer war, Geräte zu kontrollieren, ging ich immer wieder über diesen Flur, um ihn beobachten zu können.«
    Er schwieg und steckte sich eine Zigarette an. Guthrie hatte den Eindruck, daß ihn diese Erinnerung noch immer quälte.
    »Ich erkannte ihn sofort wieder«, fuhr Ogden fort und ließ seinen Blick zu Guthrie zurückwandern, »obwohl er mit geschlossenen Augen dalag und mit einer Unzahl von Kabeln an eine Unzahl von Geräten angeschlossen war. Er hatte trotzdem noch nichts von seiner bestechenden Schönheit eingebüßt. Ich kann mich noch erinnern, daß mir besonders seine feinen blonden Haare auffielen, die übers Kopfkissen gebreitet waren. Dabei erschrak ich, denn er erschien mir wie ein jüngerer Bruder, der in einen heimtückischen Schlaf gefallen war; wie ein zweites, geschwächtes und sterbendes Ich, dem ich nicht zu helfen vermochte. Ich empfand Angst, weil in jenem Bett der kranke und schwache Teil von mir lag, den ich gern beseitigen oder wenigstens verstecken wollte.«
    Ogden senkte den Blick auf seine Hände.
    »Und doch habe ich ihn gerade deshalb geliebt«, fuhr er fort. »In dem Augenblick wurde mir klar: wenn Veronica ähnlich fühlte wie ich, dann hatte ihre Liebe zu diesem Mann wirklich etwas Unheilvolles.«
    Ogden schwieg, er wirkte jetzt wieder ganz nüchtern.
    »Dies ist eine Hypothese, der ich mich anschließen könnte«, sagte Guthrie nachdenklich.
    »Ich glaube, daß sich Casparius seit jenen Genfer Zeiten Sorgen um mich macht. Der perfekte Spion ist kein solcher mehr, weil er eine emotionale Erschütterung erlebt hat«, schloß Ogden sarkastisch.
    »Meinen Sie, daß auch Alma seit jener Zeit beschattet

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