Der Spitzenkandidat - Roman
überbewerten, der regt sich auch wieder ab. Sie kennen das ja schon. Und intern müssen wir nichts ändern.“
Hirschmann beeilte sich, dem Direktor beizupflichten. Nichts wünschte er weniger, als an der Front agieren zu müssen. Sein Job war es, die Abteilung zu koordinieren und die Arbeit auf die Dezernate zu verteilen. Darin, nicht in der Ermittlungstätigkeit, war er gut, alle Kollegen wussten das.
Im Hinausgehen klopfte Hirschmann Verena auf die Schulter.
„Nicht verzagen, Kollegin. Noch sind die Hinweise aus der Bevölkerung nicht vollständig ausgewertet.“
Und die Sache mit Steins Brief und dem russischen Geschäftsmann ist für mich nicht erledigt, auch wenn du dich wie ein Wahnsinniger gebärdest, ich leite die Ermittlungen, beschloss Verena im Stillen.
Im Büro wartete Inga Schulz, sie hatte mehrere Briefumschläge bei sich.
„Hier, das haben meine Leute in der Schreiber-Wohnung gefunden. Könnte wichtig sein.“
„Abschiedsbriefe?“
„Nein, die Briefe sind von Egon Schreiber. Einen Golfschläger haben meine Leute übrigens auch nicht gefunden.“
Als Verena nicht gleich schaltete, fügte sie hinzu: „Der Ex.“
Nach wenigen Zeilen blickte Verena zu ihrer Kollegin auf.
„Er droht seiner Frau. Und Stein droht er auch.“
„Das ist es ja, was mich alarmiert hat. Selbst wenn man bedenkt, dass die Briefe vor längerer Zeit geschrieben wurden. Der letzte vor fünf Monaten.“
Verena kam eine vage Erinnerung an ihr Gespräch mit Sonja Schreiber. Etwas, was Sonja damals gesagt hatte. Gedankenverloren verließ sie ihr Büro. Nebenan hockte der Kriminalinspektor Kleinsorge vor dem Bildschirm, den er sofort von Verena wegdrehte.
„Ich brauche die Listen mit den Golfmitgliedern aus der Region.“
Er blickte sich suchend um und zeigte auf seinen Aktenbock. „Irgendwo in dem Stapel müssen sie sein.“
„Wie schön. Suchen Sie sie heraus und bringen Sie sie mir. Sofort.“
Der Beamte lief rot an, wollte etwas erwidern, ließ es aber bleiben. Gut für ihn, dachte Verena. Sie konnte gerade jetzt keine renitenten Mitarbeiter gebrauchen, deren Arbeitsmoral zu wünschen übrig ließ.
Gemeinsam mit Inga wartete sie. Die Kolleginnen lenkten sich von ihrer Ungeduld ab, indem sie über neutrale Themen plauderten: Urlaub, Wetter, Stollmanns Pech mit Frauen.
Es war Inga, die auf die Briefe zurückkam: „Glaubst du, wir haben da was in der Hand?“
„Nach den Rückschlägen in den letzten Tagen ist mir jeglicher Glaube abhanden gekommen. Aber der Ton der Briefe ist ja eindeutig, das sind handfeste Drohungen, über einen längeren Zeitraum. Als ich mit Frau Schreiber sprach, hat sie sie nicht erwähnt.“
Der Inspektor brachte die Listen. Egon Schreiber war Mitglied im Burgdorfer Golfklub. Die Kriminalrätin erinnerte sich, vor Jahren dort gespielt zu haben. Ein flacher Platz mit extrem langen Bahnen, kurz vor Celle, viel Wald und Heide, ein nettes Klubhaus, sehr gute Küche.
„Stopp!“, rief sie dem Beamten hinterher, der ihr Büro verlassen wollte. „Ich möchte, dass Sie alles über Egon Schreiber herausfinden, wo er wohnt und arbeitet, was er beruflich macht und so weiter und so fort. Noch heute.“
Der Kollege blickte demonstrativ auf seine Armbanduhr.
„Um fünf muss ich aber gehen, ich habe eine Verabredung.“
„Mögen Sie Ihren Beruf eigentlich?“
Er war überrascht: „Doch, finde ich gut.“
„Und Sie würden gern auch im nächsten Monat in unserer Mitte arbeiten? Und in zwei Monaten auch?“
Er ließ die Schultern hängen, wirkte aber noch bockig.
„Sagen Sie die Verabredung ab“, forderte Verena ihn auf. „Wir stecken in den Ermittlungen in einem Mordfall. Sie sind Mitglied der Soko und vertreten momentan Frau Schramm. Ich brauche Sie hier, auch nach 17 Uhr. Wenn sie das nicht kapiert, ist sie die falsche Freundin für einen Polizisten. Oder Sie sind kein Polizist.“
„Nein, nein, ist gut. Es geht nicht um eine Frau, ich habe mich mit meiner Tante verabredet. Meine Freundin …“ Er lief rot an. Ach ja, die Schramm, dachte Verena.
„Klar bleibe ich“, beeilte er sich zu sagen. Seine Beflissenheit wirkte nicht echt.
„Ist doch wahr“, murmelte Verena, als sie Ingas Lächeln sah. „Was glaubst du, was der Innenminister mir vorhin alles an den Kopf geworfen hat?“
„Wie ich unseren Direktor kenne, hat er dich bestimmt mannhaft verteidigt.“
Schön wär’s, dachte Verena, sagte aber nichts.
54
Alfred Bitter stellt sein Hundert-Tage-Programm vor
Knapp
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