Der Spitzenkandidat - Roman
Behördenleiter, er hatte sie nur schützen wollen. Und was hätte es gebracht, wenn der versuchte Giftmord vor Gericht verhandelt worden wäre? Die Frau war jahrelang misshandelt worden. Ein Jahr auf Bewährung oder zwei? Am Ende überwogen die Argumente für Jürgen und sie gestand sich ein, dass ihre Gefühle für ihn keineswegs erloschen waren. Sie war immer noch in ihn verliebt und sie wollte ihn haben, als Geliebten und als Freund. Vielleicht würde sich mehr daraus entwickeln.
Sie sprach Stollmann auf ihre Vermutung an, dass Stein in illegale Geschäfte mit einem Wirtschaftskriminellen aus den ehemaligen GUS-Staaten verwickelt war. Hackmanns Andeutungen, der Brief, um den ein solches Geheimnis gemacht wurde und die Überreaktion der Witwe. Stollmann fand ihre Theorie interessant.
„Es ist aber nichts als graue Theorie. Wir haben kein einziges Beweisstück, du bewegst dich im Bereich der Spekulationen, unsere Vorturner werden uns was husten, wenn wir denen mit der Sache kommen.“
„Wir müssen die Hinweise aus der Bevölkerung darauf abklopfen, ob jemand mitbekommen hat, dass Stein sich mit einem russischen Geschäftsmann getroffen hat. Vielleicht hat ihn jemand gesehen, ein Hotelangestellter, ein Kellner, ein Taxifahrer.“
„Mein Gott, Verena. Es gibt mehr als 1000 Hinweise aus der Bevölkerung, und was glaubst du, was unser Team den ganzen Tag macht. Wenn es einen belastbaren Hinweis in dieser Richtung gäbe, wären wir im Bilde. Übrigens, hat Hackmann nicht einen Litauer erwähnt?“
„Ja, ja, aber ist doch egal, welcher Nationalität der Mann angehört. Entscheidend ist, dass er illegale Gelder in Deutschland waschen wollte.“
„Das vermutet Hackmann. Beweisen können wir …“
Die Bürotür wurde aufgerissen und Hirschmann stürmte herein.
„Ich möchte alleine mit Frau Hauser sprechen.“ Stollmann verdrehte die Augen, bevor er, die Tür laut hinter sich zuknallend, verschwand.
Hirschmann war auf hundertachtzig. Der Innenminister höchstpersönlich hatte sich beschwert.
Das LKA möge die Witwe endlich in Ruhe lassen und sich auf die Tätersuche konzentrieren. Wie sie überhaupt dazu käme, hinter seinem Rücken abstruse Anschuldigungen zu verbreiten. „Das ist ungeheuerlich. Sie bringen meine Abteilung in Verruf!“, schrie er sie an.
Verenas Bemühungen, ihren Vorgesetzten herunterzuholen, scheiterten kläglich. Hirschmann war auf Krawall gebürstet und für ihre Argumente nicht zugänglich. Er verlangte eine umgehende schriftliche Entschuldigung bei der Witwe, mit Kopie an den Herrn Innenminister. „Falls sie mit dem Unsinn nicht sofort aufhören, entziehe ich Ihnen die Leitung der Soko und dann wird der Direktor Ihnen auch nicht helfen können und wenn Sie ihm noch so schöne Augen machen.“
Das ging zu weit, fand Verena und beschwerte sich nun ihrerseits lautstark. Das ging eine ganze Weile so. Die Fetzen flogen, ein Wort gab das andere. Frau Schramm beendete den Disput, ein eiliges Fax, das keinen Aufschub duldete. Ihre erschrockenen Augen wanderten zwischen den beiden Streithähnen hin und her. Es war unschwer zu erkennen, wem ihre Sympathien gehörten.
Mit den Worten „In einer Stunde liegt das Schreiben auf meinem Schreibtisch“ verließ Hirschmann Verenas Büro, nicht ohne Frau Schramm ein wohlwollendes Lächeln zuzuwerfen.
53
Als Verena am siebten Tag nach dem Mord in die Planckstraße, von der die kleine Stichstraße abging, die zu Sonja Schreibers Wohnung führte, einbog, hatte sie ein ungutes Gefühl. Sonja Schreiber hatte auf keinen ihrer zahlreichen Anrufe reagiert. Was war da los? Dieses Mal fand sie direkt vor dem Haus einen Parkplatz. Als sie auf das Haus zuging, wurde ein Fenster im Parterre geöffnet. Eine betagte Dame mit ondulierten wachsblonden Locken schaute heraus.
„Wollen Sie zu Frau Schreiber?“, fragte sie neugierig.
„Ja, ich bin Polizistin und habe einige Fragen.“
„Ich habe Sie letzte Woche hier gesehen. Hängt bestimmt mit dem Mord zusammen. Der Herr Stein hat Frau Schreiber öfter besucht. Nur in den letzten Monaten nicht mehr.“
„Vielleicht können Sie mir die Tür öffnen. Frau Schreiber geht nicht ans Telefon.“
Das Fenster wurde geschlossen, die Haustür wurde geöffnet.
Die mitteilsame Dame sagte: „Sie muss zu Hause sein. Gestern Nachmittag habe ich noch Geräusche aus der Wohnung gehört und danach ist sie nicht mehr weggegangen. Das hätte ich mitbekommen. Nicht dass ich neugierig bin, aber die Treppe knarrt. Das
Weitere Kostenlose Bücher